I. Hintergrund
Am 19.02.2020 stellte die Europäische Kommission die europäische Datenstrategie vor. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen während der COVID-19-Pandemie wurde die Schaffung eines Europäischen Gesundheitsdatenraums als oberste Priorität angesehen. Am 03.05.2022 veröffentliche die Europäische Kommission mit dem Vorschlag für eine Verordnung über den europäischen Raum für Gesundheitsdaten (COM (2022) 197 final) ihr erstes Rahmenwerk für einen solchen unionsweiten, sektorspezifischen Datenraum. Die Initiative wurde bereits am 24.04.2024 vom EU-Parlament angenommen und verabschiedet.
Mit der Veröffentlichung der EHDS-VO im Amtsblatt der EU hat die Kommission zugleich recht umfangreiche FAQs (Frequently Asked Questions on the European Health Data Space) veröffentlicht.
II. Ziel des EHDS
Ziel der EHDS-VO ist eine stärkere Verknüpfung nationaler Gesundheitssysteme durch sicheren und effizienten Austausch von Gesundheitsdaten für die Primär- und Sekundärnutzung:
- Kapitel II der EHDS-VO zur primären Datennutzung gewährt Einzelpersonen Zugang und Kontrolle zu ihren elektronischen Gesundheitsdaten
- Kapitel III zu EHR-Systemen (Systeme für elektronische Gesundheitsaufzeichnungen) richtet sich an Hersteller und andere Wirtschaftsakteure, die EHR-Systeme auf dem Markt bereitstellen und legt als CE-Rechtsakt Anforderungen an EHR-Systeme in Bezug auf Interoperabilität und Protokollierungsfunktionen fest.
- Kapitel IV zur sekundären Datennutzung schafft Verpflichtungen für Inhaber von Gesundheitsdaten, Daten verfügbar zu machen und legt fest, wie Nutzer von Gesundheitsdaten diese Daten verwenden können. Es stellt die nötige Infrastruktur sowie Stellen für den Zugang zu Gesundheitsdaten (HDABs) bereit.
- Weitere Kapitel befassen sich mit Governance, internationalen Aspekten und anderen horizontalen Themen.
III. Primärnutzung
Die Primärnutzung ist in Kapitel II der EHDS-VO (Art. 2 Abs. 2 lit. d) geregelt als „die Verarbeitung elektronischer Gesundheitsdatenfür die Gesundheitsversorgung zur Beurteilung, Erhaltung oder Wiederherstellung des Gesundheitszustands der natürlichen Person, auf die sich diese Daten beziehen, einschließlich der Verschreibung, Abgabe und Bereitstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie für die einschlägigen Sozialleistungen und für die einschlägigen Dienste der Verwaltung oder Kostenerstattung“.
EU-Bürger (natürliche Personen) sollen Zugang zu ihren elektronischen Gesundheitsdaten – gerade auch grenzüberschreitend – erhalten. Hierzu richten die Mitgliedstaaten Zugangsdienste ein (Art. 14 EHDS-VO).
Die wichtigste Neuerung in diesem Zusammenhang ist das Recht der Patienten, dem Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten sowohl durch medizinisches Fachpersonal für die primäre Nutzung als auch durch andere berechtigte Parteien für die sekundäre Nutzung zu widersprechen (Opt-out). In Deutschland erfolgt eine Umsetzung eines solchen Opt-outs bei der elektronischen Patientenakte (ePA).
IV. Sekundärnutzung
Gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. e EHDS-VO bezeichnet Sekundärnutzung „die Verarbeitung elektronischer Gesundheitsdaten für die in Kapitel IV der EHDS-VO genannten Zwecke, sofern es sich nicht um die Zwecke handelt, für die sie ursprünglich erhoben oder erstellt wurden“. Gemeint sind gemäß Art. 53 EHDS-VO unter anderem folgende Zwecke:
- Öffentliches Interesse im Bereich der öffentlichen Gesundheit
- Politikgestaltung und Regulierungstätigkeiten
- Entwicklungs- und Innovationstätigkeiten für Produkte oder Dienstleistungen im Bereich des Gesundheitswesens
- Bildungs- oder Lehrtätigkeiten im Gesundheitswesen oder Pflegesektor
- Wissenschaftliche Forschung
- Verbesserung der Pflege, der Optimierung der Behandlung und der Gesundheitsversorgung
Damit wird die Sekundärnutzung namentlich auch für die kommerzielle Forschung, etwa zur Produktentwicklung oder die Datennutzung zum Training KI-gestützter Medizinprodukte, ermöglicht. Die EHDS-VO verpflichtet Gesundheitsdateninhaber, bestimmte Mindestkategorien für die Sekundärnutzung von Daten bereitzustellen. Natürliche oder juristische Personen können Zugang zu den Gesundheitsdaten erhalten (Art. 67 EHDS-VO). Hierfür ist Antrag bei einer Zugangstelle zu stellen. Dem Antrag wird entsprochen, wenn die hohen gesetzlichen Anforderungen an den Schutz der Daten erfüllt sind und den festgelegten Zwecken entsprochen wird (Art. 68 EHDS-VO).
V. EHR-Systeme
Aus produktrechtlicher Sicht besonders zu erwähnen ist die Konformitätsbewertung und die CE-Kennzeichnung sogenannter EHR-Systeme (Systeme für elektronische Gesundheitsaufzeichnungen) im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. k EHDS-VO.
Der Begriff EHR-System (electronic health record system) bezeichnet „jedes System, bei dem die Software oder eine Kombination aus Hardware und Software des Systems es ermöglicht, personenbezogene elektronische Gesundheitsdaten, die zu den durch diese Verordnung eingeführten prioritären Kategorien personenbezogener elektronischer Gesundheitsdaten gehören, zu speichern, zu vermitteln, zu exportieren, zu importieren, zu konvertieren, zu bearbeiten oder anzuzeigen und das vom Hersteller zur Verwendung durch Gesundheitsdienstleister bei der Patientenversorgung oder durch Patienten für den Zugang zu ihren elektronischen Gesundheitsdaten bestimmt ist“.
EHR-Systeme müssen, um in der Union auf dem Markt bereitgestellt oder in Betrieb genommen zu werden, zwei harmonisierte Komponenten enthalten:
- Interoperabilitätskomponente
- Protokollierungskomponente
EHR-Systeme unterliegen künftig nach Maßgabe von Art. 25 ff. EHDS-VO dem CE-Produktrecht und dem Konzept der Wirtschaftsakteure. Art. 27 EHDS-VO regelt die praktisch wichtige Schnittstelle zu den unionalen Harmonisierungsvorschriften für Medizinprodukte, In-vitro-Diagnostika und Hochrisiko-KI-Systemen im Sinne der KI-Verordnung.
Auch für Wellness-Anwendungen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. ab EHDS-VO sehen Art. 47 ff. EHDS-VO nunmehr verpflichtende Vorgaben für die Interoperabilität mit EHR-Systemen vor. Hersteller von EHDS-Systemen und Wellness-Anwendungen sowie andere erfasste Wirtschaftsakteure sollten sich frühzeitig auf die kommenden produktrechtlichen Anforderungen einstellen. Zudem sind die Überschneidungen und zusätzlichen Anforderungen bei digitalisierten Medizinprodukten und IVD evident.
VI. Geltungsbeginn
Die Verordnung tritt 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung, mithin am 25.03.2025 in Kraft und gilt gemäß Art. 105 EHDS-VO grundsätzlich ab dem 26.03.2027. In Ausnahmefällen gelten Übergangsfristen von vier, sechs und zehn Jahren. Namentlich für EHR-Systeme gelten abgestufte Übergangsbestimmungen gemäß Art. 105 Abs. 3 und 4 EHDS-VO, die ab März 2029 bzw. März 2031 greifen.
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