Die Kommission sieht im Rahmen des Green Deal und des Circular Economy Action Plan erheblichen Bedarf zur Implementierung kreislaufbezogener Vorgaben, um auch in der Textilwirtschaft den Übergang zu einer ressourcenschonenden Abfallbewirtschaftung zu beschleunigen. Nach den Grundprinzipien der Abfallbewirtschaftung ist die Vermeidung von Abfällen stets das primäre Ziel. Falls Textilabfälle anfallen, soll das Augenmerk künftig jedoch verstärkt auf die Wiederverwendbarkeit und das Recycling gelegt werden.
A. Hintergrund
Der Änderungsvorschlag zur Abfallrahmenrichtlinie vom (Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directive 2008/98/EC on waste, COM(2023) 420 final) sieht neben anderen Aspekten die Einführung verpflichtender und detaillierter Regelungen in Bezug auf Textilien und Schuhe vor, welche für diese Produktgruppen die generell gefassten Rahmenvorgaben zur erweiterten Herstellerverantwortung aus den Artt. 8, 8a Abfallrahmenrichtlinie konkretisieren. Damit soll ein hohes Umwelt- und Gesundheitsschutzniveau in der Union erreicht werden. Zugleich soll eine funktionierende Kreislaufwirtschaft durch das Sammeln, Sortieren, die Wiederverwendung, die Vorbereitung zur Wiederverwendung und das Recycling gewährleistet werden. Außerdem soll dies Anreize dafür schaffen, bereits bei der Erzeugung der Produkte die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft in den Blick zu nehmen und damit eher langlebige Produkte als „Fast Fashion“ auf den Markt zu bringen.
B. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich
Die neuen Vorgaben sollen ausweislich des Anhangs IVc des Entwurfs für Textilien (wie beispielsweise Kleidung, Decken, Vorhänge, Bett- und Tischwäsche oder Hüte), Lederwaren und Schuhe gelten.
In personeller Hinsicht steht der Hersteller im Zentrum der Regulierungsbestrebungen. Hersteller in diesem Sinne sollen nach Art. 3 Nr. 4b des Entwurfs alle natürlichen und juristischen Personen sein, die
- ihre Niederlassung in einem Mitgliedstaat der EU haben und die Textilwaren, textilverwandte Waren und Schuhe unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke herstellen oder entwerfen oder herstellen lassen und sie erstmals im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vertreiben,
- in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind und im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke die oben genannten Produkte verkaufen, die von anderen Produzenten produziert wurden und auf denen der Name, die Marke oder das Warenzeichen des Herstellers nicht aufgeführt sind,
- in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind und in diesem Mitgliedstaat erstmalig gewerbsmäßig entsprechende Erzeugnisse vertreiben, die aus einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland stammen, oder
- die betreffenden Erzeugnisse im Wege des Fernabsatzes direkt an private und gewerbliche Endverbraucher in einem Mitgliedsstaat verkaufen und die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittland niedergelassen sind.
Ausgenommen sind nach dem ausdrücklichen Wortlaut Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz und einer Jahresbilanzsumme von weniger als zwei Millionen Euro sowie selbständige Maßschneider. Zudem sind solche Akteure nicht erfasst, die (ausschließlich) gebrauchte Textil- und Schuherzeugnisse bzw. solche, die ganz oder teilweise aus Abfallprodukten bestehen, auf den Markt bringen.
C. Geplante Pflichten im Überblick
Im Wesentlichen finden sich die künftigen Verpflichtungen der Hersteller im Rahmen ihrer erweiterten Herstellerverantwortlichkeit und der künftig erst noch einzurichtenden Organisationen der Herstellerverantwortung in Art. 22 a bis c des Entwurfs. Art. 22 d des Vorschlags enthält zudem detaillierte Vorgaben für den weiteren Umgang mit den gesammelten Textilabfällen.
Im Einzelnen:
- Einrichtung eines Registers
Damit die Erfüllung der Vorgaben der erweiterten Herstellerverantwortung effektiv überwacht werden kann, müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 22b des Entwurfs ein Herstellerregister einführen. Dies ist beispielsweise bereits für Verpackungen (LUCID) und Elektrogeräte und Batterien (Register bei der Stiftung EAR) bekannt. Ohne eine marken- und produktbezogene Registrierung dürfen Hersteller ab Geltungsbeginn keine betroffenen Produkte mehr in Verkehr bringen.
- Kostentragungspflicht der Hersteller
Nach Art. 22a Abs. 4 des Entwurfs müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die betroffenen Hersteller künftig die Kosten für die Sammlung und anschließende Abfallbewirtschaftung der in Anhang IVc des Entwurfs aufgeführten Abfälle tragen und finanziell auch für Studien zur Zusammensetzung des unsortierten Siedlungsabfalls, für Informationskampagnen, für die Berichterstattung an die zuständigen Behörden und anteilig für die Forschung zu neuen Sammel- und Recyclingprozessen aufkommen.
- Einrichtung sog. Organisationen der Herstellerverantwortung
Die Mitgliedstaaten müssen nach Art. 22c des Entwurfs zudem sicherstellen, dass Hersteller von betroffenen Produkten eine sogenannte Organisation der Herstellerverantwortung benennen, die in ihrem Namen die Pflichten der erweiterten Herstellerverantwortung erfüllt. Diese Organisationen bedürfen einer behördlichen Zulassung, um die von den Herstellern übernommenen Pflichten zu erfüllen.
Im Rahmen ihrer Tätigkeit werden die Organisationen der Herstellerverantwortung verpflichtet sein, ihre von den Herstellern zu entrichtenden Beteiligungsentgelte am Grad der ökologischen Nachhaltigkeit und der Kreislauffähigkeit der beteiligten Produkte auszurichten. Zudem müssen sie bei der Berechnung des Beteiligungsentgeltes möglicherweise eintretende Gewinne aus der Wiederverwendung, der Vorbereitung zur Wiederverwendung oder aus dem Wert von Sekundärrohstoffen aus recycelten Alttextilien angemessen berücksichtigen.
- Einrichtung getrennter Sammelsysteme
Spätestens bis zum 01.01.2025 müssen in allen Mitgliedstaaten getrennte Sammelsysteme für Textilien eingerichtet werden, um eine Vermischung mit dem unsortierten Siedlungsabfall zu vermeiden, da dies (wie gegenwärtig flächendeckend der Fall) zu einem weitgehenden Verlust der wiederverwend- und recyclebaren Materialen durch Beseitigung führt.
In diesem Zusammenhang soll sichergestellt werden, dass die Organisationen der Herstellerverantwortung die Teilnahme von Sozialunternehmen und anderen Betreibern von Wiederverwendungsanlagen am System der getrennten Sammlung nicht verweigern dürfen.
Ferner sollen Sozialunternehmen (wie beispielsweise das Deutsche Rote Kreuz und kirchliche Träger) ihre eigenen getrennten Sammelstellen weiter unterhalten und betreiben können und dürfen bei der Wahl des Standorts der getrennten Sammelstellen nicht benachteiligt werden. Die Sozialunternehmen und sozialwirtschaftlichen Einrichtungen, die Teil der angeschlossenen Sammelstellen sind, sind außerdem nicht verpflichtet, die von ihnen gesammelten Alttextilien, textilverwandte Erzeugnisse und Schuhe an die Organisationen für Herstellerverantwortung zu übergeben.
- Umfassende Informations- und Dokumentationspflichten
Die von den Organisationen für Herstellerverantwortung zu erfüllenden Informationspflichten gemäß Art. 22c Abs. 13 des Entwurfs umfassen Hinweise an Verbraucher zu Methoden der Abfallvermeidung und Pflege der Produkte während der Dauer ihres Gebrauchs, zu Wiederverwendungs- und Reparaturmöglichkeiten für Textilien und Schuhe sowie Verbraucherinformationen zur getrennten Sammlung von gebrauchten Textilien und Schuhen. Darüber hinaus müssen auch Informationen zu den Auswirkungen der Textilproduktion, insbesondere zu sogenannten Fast-Fashion-Praktiken auf die Umwelt, die menschliche Gesundheit und die hiermit verbundenen problematischen Arbeitsbedingungen, zum Recycling und zu den Auswirkungen einer unsachgemäße Entsorgung von Textil- und Schuhabfällen gegeben werden.
D. Übergangsfristen
Zur Einrichtung der vorstehend genannten Instrumente der erweiterten Herstellerverantwortung räumt die Kommission den Mitgliedsstaaten nach Art. 22a Abs. 8 des Entwurfs einen Zeitraum von bis zu 30 Monaten nach Inkrafttreten der Änderungsrichtlinie ein. Der Kommissionsvorschlag wird nun vom Europäischen Parlament und vom Rat im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beraten. Auf Grund des immer noch sehr frühen Stadiums des Entwurfs kann gegenwärtig noch nicht abgesehen werden, wie lange das Gesetzgebungsverfahren letztendlich dauern wird.
Ausblick
Der Vorschlag der EU-Kommission überrascht wegen der geplanten systematischen Stellung in der Abfallrahmenrichtlinie. Dies insbesondere deshalb, weil in den ebenfalls EU-weit harmonisierten Bereichen der erweiterten Herstellerverantwortung für Verpackungen und Batterien gerade eine Abkehr von der Richtlinienregulierung hin zu einem unmittelbar geltenden Verordnungsrecht stattfindet. Sodann ist bemerkenswert, dass die EU-Kommission Themen wie die für eine Kreislaufführung von Textilien erforderliche Faserkennzeichnung ebenso außen vor lässt, wie eine klare Reglung zur Abgrenzung der Anwendungsbereich der Elektrogeräte- zur vorliegenden Textilregulierung. Gerade dies wäre im Hinblick auf den zunehmenden Anteil an sog. „Smart Textiles“ wünschenswert und für ein reibungsfreies Ineinandergreifen der Systeme unbedingt erforderlich wäre.
Im Lichte dessen bleibt abzuwarten, wie sich die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Institutionen positionieren werden und ob der für Q4/2023 geplante Vorschlag der EU-Kommission für eine Überarbeitung der Textilkennzeichnungsverordnung (EU) Nr. 1007/2011 nicht doch noch die dort geplanten Designkriterien mit den hier vorgeschlagenen Vorgaben zur Erfüllung der erweiterten Herstellerverantwortung zusammenführen wird. Im Sinne der Transparenz und Kohärenz wäre dies sicherlich wünschenswert.
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