Eine von zahlreichen Marktakteuren erhoffte, spürbare Erweiterung der Zulässigkeit elektronischer Gebrauchsanweisungen bei allen Produkten für professionelle Nutzer ist ausgeblieben. Zumindest aber für medizinische Software die auch für die Anwendung durch Laien bestimmt ist, wie z.B. mobile Apps, bringt die Durchführungsverordnung eine überfällige Klärung.
Was sind die wesentliche Erwägungsgründe der Durchführungsverordnung?
In der bisher geltenden Verordnung (EU) Nr. 207/2012 wurden Bedingungen festgelegt, unter denen Gebrauchsanweisungen für unter die Medizinprodukte-Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG fallende Medizinprodukte in elektronischer Form anstatt in Papierform zur Verfügung gestellt werden können. Die Medizinprodukte-Richtlinien wurden mittlerweile durch die Medical Device Regulation (MDR) – Verordnung (EU) 2017/745 ersetzt. Durch die Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226 sollen daher die Vorschriften hinsichtlich elektronischer Gebrauchsanweisungen an die neuen Anforderungen der Verordnung (EU) 2017/745 und an die technischen Entwicklungen auf diesem Gebiet angepasst werden. Die Möglichkeit, Gebrauchsanweisungen in elektronischer Form statt in Papierform zur Verfügung zu stellen, soll aber weiterhin recht eng auf bestimmte Medizinprodukte und ihr Zubehör beschränkt bleiben. Auch der Grundgedanke, dass der Nutzer aus Gründen der Sicherheit und Effizienz immer die Möglichkeit haben soll, auf Anforderung die Gebrauchsanweisung in Papierform zu erhalten, bleibt unverändert erhalten.
Was gilt für die bisherige Verordnung (EU) Nr. 207/2012?
Die Verordnung (EU) Nr. 207/2012 wird gem. Art. 10 der Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226 aufgehoben. Allerdings gilt sie noch bis zum 26.05.2024 für Produkte weiter, die gem. Art. 120 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2017/745 in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen wurden (dies betrifft sog. „Legacy“-Produkte, die noch mit einer gültigen Altbescheinigung nach bisherigem Richtlinienrecht oder aber als unter der MDR höherklassifizierte Produkte in Verkehr gebracht werden dürfen – letzteres betrifft regelmäßig medizinische Software, die bislang noch als Produkte der Klasse I galten).
Welche regulatorischen Veränderungen ergeben sich?
Im Wesentlichen werden die bestehenden Voraussetzungen aufrechterhalten und von der bisher bestehenden Richtlinienebene auf die Verordnung (EU) 2017/745 übertragen. Eine wichtige Änderung gibt es allerdings für medizinische (stand-alone) Software: anders als in der bisher geltenden Verordnung ist die elektronische Gebrauchsanweisung nicht mehr auf professionelle Nutzer beschränkt. Nunmehr ist es auch zulässig, bei Software für die Laienanwendung, die etwa als Apps für Mobilgeräte zur Verfügung gestellt wird, eine elektronische Gebrauchsanweisung mithilfe der Software selbst statt in Papierform bereitzustellen. Damit wird zumindest dieser regulatorisch angeordnete, bislang kaum nachvollziehbare Medienbruch beseitigt.
I. Anwendungsbereich
Hinsichtlich des Anwendungsbereichs ergeben sich keine inhaltlichen Änderungen. Die Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226 findet dementsprechend auf Medizinprodukte mit Ausnahme der in Anhang XVI der Verordnung (EU) 2017/745 aufgeführten Produkte Anwendung und legt die Bedingungen fest, unter denen die Hersteller die in Anhang I Kapitel III Nummer 23.4 der Verordnung (EU) 2017/745 aufgeführten Angaben in der Gebrauchsanweisung in elektronischer Form gemäß Anhang I Kapitel III Nummer 23.1 Buchstabe f der Verordnung (EU) 2017/745 bereitstellen dürfen.
II Begriffsbestimmungen
Der Begriff der Gebrauchsanweisung ist nunmehr in Art. 2 Nr. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 unmittelbar definiert. Der Begriff der elektronischen Gebrauchsanweisung hingegen umfasst jetzt auch die Bereitstellung über Software; vgl. Art. 2 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226.
III Betroffene Produktgruppen
Hersteller können eine elektronische Gebrauchsanweisung statt einer Gebrauchsanweisung in Papierform für folgende Produkte nach der Verordnung (EU) 2017/745 zur Verfügung stellen (Art. 3 Abs. 1):
- implantierbare und aktive implantierbare Medizinprodukte;
- fest installierte Medizinprodukte;
- Medizinprodukte und Zubehör für ein Medizinprodukt, soweit ein System zur Anzeige der Gebrauchsanweisung eingebaut ist.
Voraussetzung bei den vorgenannten Produkten ist aber, dass die Produkte ausschließlich zur Verwendung durch professionelle Nutzer bestimmt sind und mit einer Verwendung durch andere Personen nach vernünftigem Ermessen nicht gerechnet werden muss (Art. 3 Abs. 2).
Demgegenüber ist medizinische (Stand-alone) Software nach der Verordnung (EU) 2017/745 jetzt in Art. 3 Abs. 3 gesondert geregelt. Im Unterschied zur bisherigen Verordnung (EU) Nr. 207/2012 bezieht sich also das in Art. 3 Abs. 2 geregelte Erfordernis ausschließlich professioneller Nutzer nicht mehr auf medizinische Software. Damit kann auch gegenüber Laienanwendern die elektronische Gebrauchsanweisung mithilfe der Software selbst statt in Papierform bereitgestellt werden.
IV Konkrete Anforderungen
Die Anforderungen an die Hersteller folgen aus den Artt. 4-7 der Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226 . Hier ergeben sich auch inhaltliche Änderungen zur vorherigen Rechtslage.
1. Risikobewertung
Die Hersteller sind weiterhin zur Durchführung einer dokumentierten Risikobewertung verpflichtet. Diese muss, zusätzlich zu den bisher bestehenden Anforderungen, nunmehr auch die
- Bewertung der Kompatibilität der Website bei der Darstellung der elektronischen Gebrauchsanweisung auf verschiedenen Geräten, die zur Anzeige dieser Gebrauchsanweisung verwendet werden könnten und
- die gegebenenfalls erforderliche Verwaltung der verschiedenen Versionen der Gebrauchsanweisung
erfassen.
2. Weitere Bedingungen
Für Produkte mit einem bestimmten Verfallsdatum, mit Ausnahme von implantierbaren Produkten, müssen die Hersteller die elektronische Gebrauchsanweisung nunmehr nicht nur mindestens zwei Jahre nach dem Verfallsdatum des letzten hergestellten Produkts, sondern auch noch zehn Jahre nachdem das letzte Produkt in Verkehr gebracht wurde, bereithalten.
Für Produkte ohne bestimmtes Verfallsdatum und für implantierbare Produkte beginnt die 15-jährige Bereithaltungsfrist jetzt nicht mehr mit der Herstellung, sondern erst mit dem Zeitpunkt der Inverkehrbringung des letzten Produkts. Dies entspricht jeweils den Dokumentationsfristen in Art. 10 Abs. 8 Verordnung (EU) 2017/745.
Zusätzlich zur bisherigen Rechtslage muss die Gebrauchsanweisung auf der Website des Herstellers in einer Amtssprache der Union verfügbar sein, die von dem Mitgliedstaat bestimmt wird, in dem das Produkt dem Nutzer oder Patienten zur Verfügung gestellt wird.
Daneben muss ein wirksames System und Verfahren vorhanden sein, um sicherzustellen, dass die Nutzer des Produkts nach dem Herunterladen der Gebrauchsanweisung von der Website über Aktualisierungen oder Korrekturmaßnahmen im Bezug auf die Gebrauchsanweisung informiert werden können (Art. 5 Abs. 12 der Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226 ). Die Anforderung, den jeweiligen Nutzer über jegliche Aktualisierungen informieren zu können, lässt Umsetzungsprobleme in der Praxis erwarten. Insbesondere erscheint problematisch, dass diese Anforderung ein Tracking der betroffenen Nutzer impliziert und wie dies unter den Rahmenbedingungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung rechtssicher gestaltet werden kann.
Nach neuer Rechtslage ist der deutliche Hinweis darauf, dass die Gebrauchsanweisung des Produkts in elektronischer Form statt in Papierform zur Verfügung gestellt wird, auf der Kennzeichnung selbst anzubringen. Im Fall von Software sind die Informationen an der Stelle bereitzuhalten, von der aus der Zugang zur Software gewährt wird. Dabei haben die Herstellerangaben nunmehr die Basis-UDI-DI und/oder die UDI-DI des Produkts gemäß Art. 27 Abs. 6 bzw. Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziffer i Verordnung (EU) 2017/745 zu enthalten, sowie zusätzliche Informationen, die die Identifizierung des Produkts erlauben, einschließlich des Produktnamens und gegebenenfalls des Modells, sowie die relevanten Kontaktdaten des Herstellers (z.B. Name, Anschrift und E-Mail-Adresse des Herstellers oder andere Online- Kommunikationsmittel und die Website).
Eine Webseite, auf der die elektronische Gebrauchsanweisung für ein Produkt abrufbar ist, dessen Gebrauchsanweisung in elektronischer Form statt in Papierform zur Verfügung gestellt wird, muss vor unbefugtem Zugriff und unerlaubten Änderungen am Inhalt geschützt sein.
Elektronische Gebrauchsanweisungen, die zusätzlich zu vollständigen Gebrauchsanweisungen in Papierform zur Verfügung gestellt werden müssen weiterhin dem Inhalt der Gebrauchsanweisung in Papierform entsprechen. Die Anforderungen an die Website erfassen nunmehr aber auch die Bereithaltungsfrist des Art. 7 Abs. 2 lit. e der Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226 .
Fazit und Ausblick
Gemessen an der allgegenwärtigen Digitalisierungsrhetorik politischer Entscheider ist die Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226 kein großer Wurf. Durch die Engführung der elektronischen Gebrauchsanweisung für sehr spezifische Produktgruppen bleibt es vorerst auch im professionellen Nutzerumfeld beim Leitbild der Papierform (vgl. ausführlich zur digitalen Gebrauchsanleitung aus der Perspektive des allgemeinen Produktsicherheitsrechts Schucht, Betriebs-Berater 2021, S. 2563 ff.).
Allein die Öffnung der elektronischen Gebrauchsanweisung für medizinische Software nach Verordnung (EU) 2017/745 auch zur Laienanwendung beseitigt einen schon bisher kaum vermittelbaren Medienbruch – die Gebrauchsanweisung kann künftig allein digital über die Software bereitgestellt werden.
Hersteller, soweit sie die begrenzten Möglichkeiten der digitalen Gebrauchsanweisung nutzen, sollten sich mit den im Lichte der MDR präzisierten Anforderungen der Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226 vertraut machen.
Link zur Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226.
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