Viele Mitgliedstaaten können die EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie (vielfach als CSDDD für Corporate Sustainability Due Diligence Directive) sprichwörtlich auf der grünen Wiese umsetzen, da sie auf diesem Gebiet bislang keine nationalen Vorgaben erlassen haben. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich hingegen aufgrund des seit dem 01.01.2023 geltenden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) bekanntlich in einer Sondersituation. Da die CSDDD – vergleichbar zum LkSG – umfassende Sorgfaltspflichten in der Lieferkette normiert, die ebenfalls unabhängig vom Produkt, der Branche und der Lieferkettenstruktur gelten, stellt sich für Deutschland die Frage, ob und wie das LkSG an die CSDDD anzupassen ist.
I. Wo liegen die Unterschiede zum LkSG?
Da die CSDDD grundsätzlich eine ähnliche Regelungsstruktur wie das LkSG aufweist, ist sicher nicht mit einer grundlegenden Umstrukturierung des LkSG zu rechnen. Die Sorgfaltspflichtenarchitektur, die auf einer Risikoanalyse basiert und – darauf aufbauend – Präventions- und Abhilfemaßnahmen bei Risiken und Verstößen gegen die erfassten Menschenrechte und Umweltbelange verlangt, wird als Kern der Regelung bestehen bleiben. Gleiches gilt auch für die flankierenden Beschwerdeverfahren, Dokumentations- und Informationspflichten.
Innerhalb dieses Rahmens macht die CSDDD allerdings zahlreiche Anpassungen erforderlich, die zu beachtlichen Verschiebungen und Veränderungen führen werden. Schlaglichtartig sind dabei folgende Aspekte besonders relevant:
- Art. 2 CSDDD engt den personellen Anwendungsbereich des LkSG zunächst dahingehend ein, dass neben der Arbeitnehmerschwelle eine zusätzliche Umsatzschwelle von EUR 450 Mio. jährlichem Nettoumsatz (weltweit) eingeführt wird. Erweitert wird der Anwendungsbereich demgegenüber im Hinblick auf nicht in der EU ansässige Unternehmen, die jedoch innerhalb der EU die genannten Umsatzschwelle erreichen. Zudem fallen künftig auch bestimmte Franchise- und Lizenzkonstellationen in den Anwendungsbereich.
- In zeitlicher Hinsicht sieht Art. 37 CSDDD folgende Staffelung vor: Geltung ab dem 26.07.2027 für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und einem Nettoumsatz > EUR 1,5 Mrd., ab dem 26.07.2028 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten und einem Nettoumsatz > EUR 900 Mio. und ab dem 26.07.2029 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und Nettoumsatz > EUR 450 Mio.
- Folgende Menschenrechte und Umweltbelange kommen durch die CSDDD hinzu: Biologische Vielfalt, Artenschutz (CITES), Rotterdam-Übereinkommen bezüglich Ein- und Ausfuhr von Chemikalien, Schutz der Ozonschicht (Wiener Konvention und Montreal Protokoll), Naturerbe nach dem Welterbeübereinkommen, Feuchtgebiete nach dem Übereinkommen von Ramsar, Verschmutzung durch Schiffe, Verschmutzung der Meere nach dem Seerechtsübereinkommen, Verbot willkürlicher Eingriffe in das Privatleben, die Familie, die Wohnung und den Schriftverkehr, Verbot der Beeinträchtigung der Gedanken-, Gewissens und Glaubensfreiheit und generelle Kinderrechte.
- Die CSDDD enthält im Vergleich zum LkSG keine Beschränkung dahingehend, welche Teile der vorgelagerten Lieferketten in die Sorgfaltspflichten einzubeziehen sind. Demnach müssen künftig auch alle mittelbaren Lieferanten betrachtet werden. Die begrifflichen Unterschiede, wonach die Lieferkette in der CSDDD als Aktivitätenkette und mittelbare Lieferanten als indirekte Geschäftspartner bezeichnet werden, dürften bei Lichte betrachtet daher keine inhaltlichen Auswirkungen haben.
- Neben der schon in § 7 LkSG enthaltenen Abhilfepflicht, die als Pflicht zur grundsätzlichen Beendigung einer Verletzung formuliert ist, fordert die CSDDD künftig auch die Einführung einer Pflicht zur Rückgängigmachung negativer Auswirkungen oder jedenfalls einer finanziellen Kompensation eingetretener Schäden (Art. 12 CSDDD in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. t) CSDDD).
- Erleichterungen wird es sodann für eine Vielzahl der erfassten Unternehmen im Hinblick auf die Berichtspflicht geben. Nach Art. 16 CSDDD soll der CSRD-Bericht nach der Richtlinie (EU) 2022/2464 hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen künftig auch zur Erfüllung der Berichtspflicht unter der CSDDD gelten. Nur solche Unternehmen, die (noch) nicht unter die CSRD-Berichtspflicht fallen, müssen also künftig noch einen eigenständigen Bericht für Zwecke der CSDDD bzw. des LkSG erstellen.
- Der nach Art. 22 CSDDD geforderte Plan zur Minimierung der Folgen des Klimawandels ist im System der CSDDD systemfremd, da er selbst nach den dortigen Regelungen keine Sorgfaltspflicht im eigentlichen Sinne darstellt. Die geforderte wissenschaftliche Fundierung wird erfahrungsgemäß zahlreiche Unternehmen vor große Hürden stellen. Schließlich dürfte das LkSG nicht der richtige Ort für eine Umsetzung in nationales Recht sein.
- Im Hinblick auf die zivilrechtliche Haftung für Sorgfaltspflichtenverstöße wird der deutsche Gesetzgeber gezwungenermaßen eine 180-Grad-Wende vollziehen müssen, da Art. 29 CSDDD die Mitgliedstaaten zur Einführung einer zivilrechtlichen Haftung bei Verstößen gegen die Verhinderungs- und Behebungspflichten aus den Artt. 10 f. CSDDD verpflichtet.
II. Wann und wie wird das LkSG voraussichtlich angepasst?
Als EU-Richtlinie muss die CSDDD bis zum 26.07.2026 in nationales Recht umgesetzt werden, sodass das LkSG spätestens bis zu diesem Zeitpunkt angepasst sein muss. Hierfür sieht die CSDDD jedoch folgende Schranken vor:
- Nach Art. 4 Abs. 1 CSDDD dürfen die Mitgliedstaaten bezüglich der Ermittlung und Bewertung von negativen Auswirkungen (Art. 8 CSDDD), der Verhinderung potenzieller negativer Auswirkungen (Art. 10 CSDDD) und der Behebung tatsächlicher negativer Auswirkungen (Art. 11 CSDDD) keine abweichenden Bestimmungen vorsehen. Folglich wird jedenfalls die bisher in § 9 Abs. 3 LkSG vorgesehene Beschränkung aufgehoben werden müssen, wonach Maßnahmen bei mittelbaren Zulieferern nur dann erforderlich sind, wenn substantiierte Kenntnis von einer möglichen Verletzung vorliegt, die die bereits oben beschriebene Aktivitätenkette unterschiedslos direkte und indirekte Geschäftspartner umfasst. Zudem werden die bestehenden Präventions- und Abhilfemaßnahmen mindestens um finanzielle Beteiligungspflichten bei Umsetzungsmaßnahmen durch KMU-Geschäftspartner ausgeweitet werden müssen.
In allen anderen Bereichen steht es den Mitgliedstaaten hingegen grundsätzlich frei, weitergehende Regelungen im nationalen Recht vorzusehen (Art. 4 Abs. 2 CSDDD).
- Für Deutschland dürfte Art. 1 Abs. 2 CSDDD von besonderer Relevanz sein. Demnach ist es den EU-Mitgliedstaaten verboten, das gegenwärtige Sorgfaltspflichtenniveau unter Berufung auf die CSDDD abzusenken (sog. Rückschritt- oder Verschlechterungsverbot). In diesem Kontext kommt das Rechtsgutachten „Möglichkeiten und Grenzen der Gestaltung des Anwendungsbereichs des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) bei der Umsetzung der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD)“ von Prof. Dr. Anne-Christin Mittwoch für Germanwatch und Oxfam zurecht zu folgendem Ergebnis: „Die Zielsetzung der CSDDD erfordert eine Auslegung des Art. 1 Abs. 2 CSDDD dahin, dass die Norm sowohl einer Erhöhung der bestehenden Arbeitnehmerschwellen des LkSG als auch einer Einführung von Umsatzschwellen entgegensteht, soweit die CSDDD hierfür als Rechtfertigung dient.“
Damit dürfte die von zahlreichen deutschen Politikern und auch der Bundesregierung in einem gemeinsamen Strategiepapier vehement geforderte umgehende „Zurückstutzung“ des LkSG auf den Anwendungsbereich der CSDDD rechtlich nicht zulässig sein.
III. In welchem Verhältnis steht die CSDDD zu anderen Sorgfaltspflichten?
Das Verhältnis der CSDDD zu den nachstehenden Rechtsakten ist in Art. 1 Abs. 3 CSDDD so geregelt, dass die spezielleren Bestimmungen im Falle von Widersprüchen vorgehen. Praktisch wird dies bedeuten, dass bei der Umsetzung alle unterschiedlichen Nuancen der jeweiligen Rechtsakte zu berücksichtigen sind. Folgende Rechtsakte sind hier insbesondere relevant:
- Verordnung (EU) 2023/1115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 2023 über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt und ihre Ausfuhr aus der Union sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 995/2010 (Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten)
- Verordnung (EU) 2017/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Festlegung von Pflichten zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Unionseinführer von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten (EU-Konfliktmineralienverordnung)
- Verordnung (EU) 2023/1542 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2023 über Batterien und Altbatterien, zur Änderung der Richtlinie 2008/98/EG und der Verordnung (EU) 2019/1020 und zur Aufhebung der Richtlinie 2006/66/EG – Sorgfaltspflichten in der Lieferkette in Artt. 47 ff. (EU-Batterieverordnung)
- Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt [finaler Beschluss im Rat und Verkündung im Amtsblatt der EU in Kürze erwartet]
Fazit
Aufgrund der zahlreichen Ausweitungen und wenigen Einschränkungen im Verhältnis der CSDDD zum LkSG wird eine Anpassung des LkSG zwingend erforderlich werden. Aktuell liegt bereits ein Regierungsentwurf zur Umsetzung der CSRD in Deutschland vor, welcher in Art. 3 die Anknüpfung der LkSG-Berichtspflicht an jene aus der CSRD vorsieht. Weitere Anpassungen sind noch in dieser Legislaturperiode angekündigt.
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