Die Kommission schlägt darin Maßnahmen zur Verbesserung der Kreislauffähigkeit in der Automobilindustrie vor, welche die Konstruktion, die Produktion und die Abwicklung von Fahrzeugen am Ende ihrer Lebensdauer betreffen. Ihr übergeordnetes Ziel liegt darin, die bestehenden EU-Rechtsvorschriften zu modernisieren und das Funktionieren des EU-Binnenmarkts zu verbessern, während gleichzeitig die negativen Umweltauswirkungen im Zusammenhang mit der Konstruktion, Herstellung, Nutzung und Behandlung von Fahrzeugen am Ende der Lebensdauer verringert und ein Beitrag zur Nachhaltigkeit der Automobil- und Recyclingindustrie geleistet werden sollen.
A. Hintergrund
Jedes Jahr erreichen in Europa mehr als sechs Millionen Fahrzeuge das Ende ihrer Lebensdauer. Ein unangemessener Umgang mit ausgedienten Fahrzeugen führt dabei nicht nur zu massiven gesamtwirtschaftlichen Wertverlusten, sondern trägt auch zur Umweltverschmutzung bei. Die jüngste Bewertung der Altfahrzeugrichtlinie und der 3R-Typengenehmigungsrichtlinie hat gezeigt, dass erhebliche Verbesserungen erforderlich sind, um den Übergang der Automobilindustrie zur Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Damit sollen die Umweltauswirkungen im Zusammenhang mit der Produktion und Abwicklung der Fahrzeuge am Ende ihrer Lebensdauer verringert sowie die Nachhaltigkeit der Automobil- und Recyclingindustrie in Europa gestärkt werden.
Die vorgeschlagene Verordnung steht im Einklang mit dem Ziel des europäischen „Green Deal“ und des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft, eine nachhaltigere und widerstandsfähigere Automobilindustrie zu erreichen. Sie ist eng mit mehreren wichtigen Gesetzgebungsinitiativen verknüpft und unterstützt deren Umsetzung. Hierbei sind beispielsweise das Gesetz zu kritischen Rohstoffen, die Batterieverordnung, die Abfallrahmenrichtlinie, die EEAG-Richtlinie und die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte anzuführen.
B. Folgenabschätzung
Im Rahmen einer auf der Initiative beruhenden Folgenabschätzung wurden vier Problembereiche ermittelt, die auf EU-Ebene angegangen werden sollten:
- Bei der Fahrzeugkonstruktion und -herstellung mangelt es an der Integration der Kreislauffähigkeit. Dies führt zu einer hohen Abhängigkeit von Primärrohstoffen.
- Die Qualität der Behandlung von Fahrzeugen am Ende ihrer Lebensdauer ist nicht optimal in Relation zum vorhandenen Potenzial, einen höheren ökologischen und wirtschaftlichen Wert durch Recycling zu erhalten.
- Es gibt einen erheblichen Anteil an „Fahrzeugen mit ungewissem Verbleib“, die zwar unter die Altfahrzeugrichtlinie fallen, aber wird nicht gesammelt, sondern anderweitig gelagert oder entsorgt werden. Zudem wird jedes Jahr eine große Menge nicht verkehrstauglicher und umweltverschmutzender Gebrauchtfahrzeuge aus der EU ausgeführt.
- Fahrzeuge, die derzeit nicht in den Geltungsbereich der Altfahrzeugrichtlinie fallen, weisen ein Kreislaufpotenzial auf, das in Bezug auf die Ziele des „Green Deal“ bisher nicht genutzt wird.
C. Maßnahmenpaket der Kommission
Die EU hat im vorliegenden Vorschlag (im Folgenden „VO-E“) ein Bündel an Maßnahmen ausgearbeitet, um die genannten Probleme regulatorisch aufzugreifen.
I. Anwendung auf weitere Fahrzeuge
Schrittweise wird der Anwendungsbereich, der bislang lediglich Personenkraftwagen (M₁) und leichte Nutzfahrzeuge (N₁) umfasst, auf weitere Fahrzeuge wie die der Klassen L₃e bis L₇e sowie Lastkraftwagen, Busse und Anhänger (M₂, M₃, N₂, N₃, O) ausgeweitet (vgl. Art. 2 Absatz 1 lit. b) und c) des VO-E).
II. Kreislauffähige Konstruktion
Im Rahmen der Kreislauffähigkeitsstrategie, die vom Hersteller zu erstellen ist, sind Fahrzeughersteller dazu verpflichtet, insbesondere Informationen über den Rezyklatanteil in Neufahrzeugen (vgl. Art. 9 Abs. 3 i.V.m. Nr. 4 Teil A des Anhangs IV des VO-E) und detaillierte und klare Informationen über das Entfernen und die Ersetzung von Teilen, Bauteilen und Werkstoffen zur Verfügung zu stellen (vgl. Art. 11 Abs. 1 i.V.m. des Anhangs V des VO-E). Nach Art. 7 VO-E sind Fahrzeuge derart zu konzipieren, dass bestimmte Teile und Bauteile in Fahrzeugen leicht zu entfernen und zu ersetzen sind. Damit soll eine leichtere Demontage ermöglicht werden, um die Wiederverwendungs- und Recyclingquoten zu erhöhen.
Ein weiterer Aspekt der Kreislauffähigkeit ist die Aufrechterhaltung der schon aus der Altfahrzeugrichtlinie bekannten Stoffbeschränkungen in Art. 5 i. V. m. Anhang III VO-E. Dabei ist zu beachten, dass die Konzeption des Entwurfs vorsieht, dass keine neuen Stoffbeschränkungen in diesem Kontext hinzukommen können, sondern nur bestehende Beschränkungen geändert werden können. Neue Stoffbeschränkungen sollen vollständig unter den bestehenden Regimen nach der REACH- und POP-Verordnung zentralisiert werden.
III. Einsatz von Rezyklaten
Nach Art. 6 VO-E müssen mindestens 25 % des Kunststoffs, welcher für die Fertigung eines neuen Fahrzeugs verwendet wird, aus recyceltem Kunststoff aus Verbraucher-Kunststoffabfällen bestehen. Hiervon müssen wiederum mindestens 25 % aus recyceltem Kunststoff aus Altfahrzeugen herrühren. Die Details der Berechnung und Überprüfung sollen in einem Durchführungsrechtsakt konkretisiert werden, der zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der Verordnung durch die Kommission zu veröffentlichen ist.
IV. Regime der erweiterten Herstellerverantwortung
Mit der Verordnung soll für Fahrzeughersteller ein Regime der erweiterten Herstellerverantwortung eingeführt werden (Art. 16 ff. VO-E). Neben einer Registrierungspflicht in jedem Mitgliedstaat, in dem der Hersteller Fahrzeuge in Verkehr bringt, muss dieser künftig auch die finanzielle und organisatorische Verantwortung für die Rücknahme, Sammlung und Behandlung von Altfahrzeugen tragen. Dabei sollen ihm jedoch nur diejenigen Kosten auferlegt werden, die durch die zugelassenen Verwertungsanlagen nicht über den Wert der verwerteten Werkstoffe und Bauteile aufgewogen werden können.
Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten dazu angehalten, erforderliche Anreize für Wartungs- und Reparaturunternehmen zu gewähren, um die Wiederverwendung, Wiederaufarbeitung und Überholung von Teilen und Bauteilen zu unterstützen (vgl. Art. 33 VO-E).
V. Höhere Sammelquote
Um die Zahl der in der EU rechtmäßig behandelten Altfahrzeuge deutlich zu erhöhen, werden verbindliche Kriterien für die Unterscheidung zwischen Gebraucht- und Altfahrzeugen (vgl. Art. 37 VO-E i.V.m. Anhang I des VO-E), regelmäßige Inspektionen (Art. 46 VO-E), die technische Überwachung von Altfahrzeugen (Art. 45 VO-E) und erweiterte Vorgaben für Verwertungsnachweise eingeführt. Auch die Ausfuhr von Gebrauchtwagen soll schließlich strengen Kriterien unterworfen werden. Dies bedeutet insbesondere, dass Gebrauchtfahrzeuge als solche nach Art. 38 Abs. 3 VO-E nur noch ausgeführt werden dürfen, wenn sie insbesondere im Land der Ausfuhr verkehrssicher sind und über die FIN (Fahrzeug-Identifizierungsnummer) eindeutig identifiziert und beim Zoll zur Ausfuhr angemeldet wurden.
VI. Effizientere Behandlung
Mit der Verordnung kommt ein Verbot der Deponierung von Schredderrückständen aus Kraftfahrzeugen. So dürfen nach Art. 35 VO-E Fraktionen von Altfahrzeugen, die Nicht-Inertabfälle enthalten, die von der Post-Schredder-Technologie nicht verarbeitet werden, in einer Deponie nicht angenommen werden. Darüber hinaus sollen nach Art. 34 Abs. 2 VO-E mindestens 30 % der Kunststoffe aus Altfahrzeugen recycelt werden. Dies soll die Verwertung von (kritischen) Rohstoffen erhöhen sowie zu einer Verbesserung der Qualität von Sekundärkunststoffen führen.
D. Auftakt für eine verbesserte Kreislaufwirtschaft
Mit der Initiative plant die EU-Kommission, erhebliche Vorteile für die Umwelt zu erreichen: Erwartet wird eine jährliche Verringerung von 12,3 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten bis 2035, eine bessere Verwertung von 5,4 Millionen Tonnen Werkstoffen, die Sammlung und Behandlung von bis zu 3,8 Millionen zusätzlicher Altfahrzeuge in der EU. Zudem soll die Verordnung zu Energieeinsparungen, einer verringerten Abhängigkeit der EU von Werkstoffen aus Drittländern und zu nachhaltigen und kreislauforientierten Geschäftsmodellen beitragen.
Daneben sieht die Kommission allerdings auch ein wirtschaftliches Potenzial für den EU-Standort. Bis 2035 sollen Nettoeinnahmen im Wert von EUR 1,8 Milliarden erzielt und über 22.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Während die Transformation einerseits eine erhebliche Belastung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sein kann, sieht die Kommission andererseits eine große Chance für die überwiegend von KMU geprägte Reparatur- und Recyclingwirtschaft.
Ausblick
Auch wenn das Gesetzgebungsverfahren aktuell noch in den Kinderschuhen steckt, findet der Vorschlag sowohl in den einschlägigen Fachmedien als auch in der allgemeinen Presselandschaft große Beachtung. Im Zentrum der Diskussion stehen dabei oftmals die Kriterien für den Beginn der Abfalleigenschaft eines Fahrzeugs und daraus resultierende Einschränkungen der Reparaturmöglichkeiten gebrauchter Fahrzeuge, die erhebliche, praktisch vielfach nicht nachvollziehbare Auswirkungen auf Reparaturwerkstätten aber auch auf private Fahrzeugeigentümer hätten. Insgesamt ist gerade in Deutschland mit seiner starken Autoindustrie mit erheblichen Auswirkungen zu rechnen, sodass der Vorschlag durch alle betroffenen Branchen und Akteure intensiv verfolgt und kommentiert werden wird.
Ab Inkrafttreten gilt grundsätzlich eine Übergangsfrist von zwölf Monaten, wobei für einige Pflichten und Fahrzeugklassen längere Übergangszeiträume geplant sind. Insbesondere die Pflichten aus Kapitel II mit den Anforderungen an die Kreislauffähigkeit sollen allesamt erst nach einem Übergangszeitraum von 72 Monaten ab Inkrafttreten der Verordnung gelten.
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