Auch wenn der insoweit maßgebliche Stichtag erst in ferner Zukunft Anfang 2027 liegen wird, tun alle Betroffenen gut daran, sich zeitnah mit den bevorstehenden Änderungen zu befassen. Dieser Beitrag geht auf die für die Wirtschaftsakteure wichtigsten Änderungen ein.
A. Hintergrund
Seit dem Erlass der EG-Maschinenrichtlinie im Jahr 2006 ist viel passiert: Die Fähigkeit von Maschinen, zu lernen, autonomer zu werden oder Informationen in Echtzeit zu verarbeiten einerseits sowie neue Formen der Beweglichkeit und Entwicklungen im Bereich der Sensorsysteme andererseits sind neue Herausforderungen für die Maschinensicherheit. Als die EG-Maschinenrichtlinie im Jahr 2006 veröffentlicht wurde, steckten die künstliche Intelligenz (KI), das Internet der Dinge und die Robotik hingegen noch in den Kinderschuhen. Aus diesem Grund wurde es Zeit für den Erlass der Verordnung (EU) 2023/1230 und damit für die neue EU-Maschinenverordnung („MVO“), zumal sich in der Zwischenzeit auch das europäische Produktsicherheitsrecht signifikant weiterentwickelt hat. Die neue EU-Maschinenverordnung ist vor diesem Hintergrund nichts weniger als die Antwort des Gesetzgebers auf die im Jahr 2023 dominierende Digitalisierung der Produktwelt, die auch und insbesondere vor Maschinen nicht Halt macht. Sie wird grundsätzlich ab dem 20.01.2027 EU-weit gelten.
B. Anwendungsbereich
Der Anwendungsbereich der EU-Maschinenverordnung bleibt grundsätzlich unverändert: Im Zentrum stehen daher weiterhin die vollständigen und unvollständigen Maschinen. Auswechselbare Ausrüstungen, Sicherheitsbauteile, Lastaufnahmemittel, Ketten, Seile und Gurte sowie abnehmbare Gelenkwellen werden nunmehr zwar als dazugehörige Produkte bezeichnet, werden aber (weiterhin) demselben Regelwerk wie vollständige Maschinen unterworfen.
Die Kernelemente des Maschinenbegriffs bleiben zwar unverändert, d.h. es gibt auch weiterhin keine Bagatellgrenze, die gelegentlich mit Blick auf Kugelschreiber oder Tierschlagfallen für kleinere Tiere diskutiert wird. Modifikationen im Detail sind aber zu beachten. So führt das Fehlen des Aufspielens einer für eine bestimmte Anwendung vorgesehenen Software nicht dazu, dass keine Maschine gegeben ist, Art. 3 Abs. 1 Buchst. f) MVO. Eine unvollständige Maschine ist gemäß Art. 3 Nr. 10 MVO „eine Gesamtheit, die noch keine Maschine darstellt, da sie als solche keine bestimmte Anwendung erfüllen kann, und die nur dazu bestimmt ist, in eine Maschine oder in eine andere unvollständige Maschine oder Ausrüstung eingebaut oder mit ihnen zusammengefügt zu werden und so eine Maschine zu bilden“. Weggefallen ist also das in der Tat komplizierte Begriffselement aus der EG-Maschinenrichtlinie, wonach eine unvollständige Maschine „fast eine Maschine bildet“, Art. 2 Satz 2 lit. g RL 2006/42/EG.
C. Wesentliche Veränderung
Die praxisrelevante wesentliche Veränderung einer (vollständigen!) Maschine oder eines dazuge-hörigen Produkts wird erstmals definiert (Art. 3 Nr. 16 MVO). Bislang gibt es keine vergleichbare Definition im europäischen Maschinenrecht. Die Praxis (jedenfalls in Deutschland) zieht daher regelmäßig das nicht-rechtsverbindliche Interpretationspapier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zum Thema „Wesentliche Veränderung von Maschinen“ zurate, das vom 09.04.2015 datiert. In Zukunft kann eine wesentliche Veränderung auch eine digitale Änderung sein. Sie muss in jedem Fall die Sicherheit der Maschine beeinträchtigen, was wiederum dazu führt, dass entweder (trennende oder nichttrennende) Schutzeinrichtungen ergänzt oder zusätzliche Schutzmaßnahmen z.B. zur Stabilisierung der Maschine ergriffen werden müssen. Eine wesentliche Veränderung ist zudem „eine vom Hersteller nicht vorgesehene oder geplante physische oder digitale Veränderung“, die nach dem Inverkehrbringen bzw. der Inbetriebnahme stattfindet. Wer eine Maschine oder ein dazugehöriges Produkt wesentlich verändert, wird gemäß Art. 18 Abs. 1 MVO zum Hersteller und muss die Herstellerpflichten aus Art. 10 MVO erfüllen.
Damit greift der europäische Gesetzgeber vieles auf, was derzeit Gegenstand des betreffenden BMAS-Papiers ist. Namentlich führt danach weder eine gleichbleibende Sicherheit noch gar eine Sicherheitserhöhung zur wesentlichen Veränderung.
D. Pflichten der Wirtschaftsakteure
Erstmals werden gesonderte Pflichten der Wirtschaftsakteure in Bezug auf Maschinen aus der Taufe gehoben, wobei der Fulfilment-Dienstleister ausdrücklich kein Wirtschaftsakteur ist. Außer beim Bevollmächtigten gibt es jeweils zwei Normen, die sich – freilich ohne allzu große Unterschiede – zum einen auf vollständige Maschinen und dazugehörige Produkte und zum anderen auf unvollständige Maschine beziehen. Daraus ergibt sich die folgende Gliederung:
- Pflichten der Hersteller bei Maschinen und dazugehörigen Produkten: Art. 10 MVO
- Pflichten der Hersteller bei unvollständigen Maschinen: Art. 11 MVO
- Pflichten des Bevollmächtigten: Art. 12 MVO
- Pflichten der Einführer bei Maschinen und dazugehörigen Produkten: Art. 13 MVO
- Pflichten der Einführer bei unvollständigen Maschinen: Art. 14 MVO
- Pflichten der Händler bei Maschinen und dazugehörigen Produkten: Art. 15 MVO
- Pflichten der Händler bei unvollständigen Maschinen: Art. 16 MVO
Dabei sind die Unterschiede zwischen den jeweiligen Pflichten in Bezug auf Maschinen bzw. dazugehörige Produkte einerseits und unvollständige Maschine andererseits vergleichsweise gering. Im Übrigen orientieren sich die Pflichtenkataloge an den Musterbestimmungen aus Anhang I des Beschlusses Nr. 768/2008/EG. Wer also im Niederspannungs- oder EMV-Recht firm ist, wird sich schnell an das neue Regelungskonzept gewöhnen. Im Ergebnis wird es daher auch im Maschinenrecht zukünftig sowohl Vormarkt- als auch Nachmarktpflichten geben. Während die Vormarktpflichten (z.B. mit Blick auf Kennzeichnungsbestimmungen) für die Verkehrsfähigkeit (einer Maschine oder eines dazugehörigen Produkts) relevant sein können, geht es beim Nachmarkt etwa um Produktbeobachtung und Korrekturmaßnahmen im Feld.
Besonders zu betonen ist, dass es zukünftig auch Notifikationspflichten im Maschinenrecht geben wird, und zwar für die Hersteller, Einführer und Händler. Gemeint ist damit die Unterrichtung der zuständigen Marktüberwachungsbehörden, wenn Maschinen bzw. dazugehörige Produkte Risiken insbesondere für die Sicherheit oder Gesundheit von Personen im Feld hervorrufen. Für die Hersteller folgt dies in Zukunft aus Art. 10 Abs. 9 S. 2, 11 Abs. 9 S. 2 MVO. Zu beachten ist, dass Notifikationspflichten bei gefährlichen Maschinen seit dem 16.07.2021 auch schon aus Art. 4 Abs. 3 Buchst. c) MVO folgen, und zwar für den jeweiligen EU-Wirtschaftsakteur.
E. Anerkennung digitaler Lösungen
Die digitale Betriebsanleitung wird zukünftig erlaubt, aber es gibt insoweit noch keinen vollständigen Durchbruch. Dreh- und Angelpunkt wird ab dem 20.01.2027 Art. 10 Abs. 7 MVO sein. Dabei wird wie folgt zwischen Verbraucherprodukten (B2C-Produkten) und nicht Nicht-Verbraucherprodukten (B2B-Produkten) unterschieden:
- Bei B2B-Produkten ist die digitale Form zulässig. Allerdings muss dem Nutzer auf Verlangen kostenlos eine Betriebsanleitung in Papierform innerhalb eines Monats zur Verfügung gestellt werden.
- Bei B2C-Produkten bedarf es nach wie vor der Papierform.
Für den Fall, dass die digitale Form gewählt wird, sind weitere Voraussetzungen zu erfüllen, So ist z.B. anzugeben, wie auf die digitale Betriebsanleitung zugegriffen werden kann; zudem muss sie insbesondere druckbar und downloadbar sein. Entsprechend wird bei unvollständigen Maschinen auch die digitale Montageanleitung zugelassen, Art. 11 Abs. 7 MVO.
Die Digitalisierung hält sodann v.a. auch bei der EU-Konformitätserklärung (Art. 10 Abs. 8 Unterabsatz 2 MVO) und bei jenen Unterlagen und Informationen, die für den Nachweis der Konformität der Maschine bzw. des dazugehörigen Produkts erforderlich sind (Art. 10 Abs. 10 S. 1 MVO), Einzug.
F. Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen (GSA)
Die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen (GSA) sind zwar von Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG in Anhang III der MVO gewandert, wurden aber nur behutsam fortentwickelt, insbesondere unter den Aspekten der künstlichen Intelligenz (KI) und der Cybersecurity.
Die KI spielt zukünftig insbesondere dort eine Rolle, wo vom „selbst-entwickelndem Verhalten“ oder der „selbst-entwickelnden Logik“ die Rede ist. So sind etwaige Gefährdungen aus just diesem Verhalten zukünftig expliziter Gegenstand der Risikobeurteilung. Was sodann die Cybersecurity anbelangt, muss insbesondere „Schutz gegen Korrumpierung“ gewährleistet werden, und zwar mit Blick auf bestimmte Hardware-Bauteile, Software und Daten. Cybersecurity wird vor diesem Hintergrund als genuine Herstellerpflicht adressiert, die namentlich auch bei vorsätzlichen (Hacker-)Angriffen Dritter erfüllt werden muss (Nr. 1.1.9 des Anhangs III der MVO). Zu beachten ist, dass Maschinen bzw. dazugehörige Produkte „Beweise für ein rechtmäßiges oder unrechtmäßiges Eingreifen in das genannte Hardware-Bauteil sammeln“ müssen. Vergleichbares gilt für die „Sicherheit und Zuverlässigkeit von Steuerungen“ (Nr. 1.2.1 des Anhangs III der MVO), wenn dort auf „vernünftigerweise vorhersehbare böswillige Versuche Dritter“ abgestellt wird, „die zu einer Gefährdungssituation führen“. Auch wenn diese Verantwortungszuweisung juristisch nicht selbstverständlich ist, ist sie fraglos dabei, sich in der Gesetzgebung auf europäischer Ebene durchzusetzen. Aktuell ist davon auszugehen, dass die maschinenrechtlichen Anforderungen an die Cybersecurity zukünftig dann als erfüllt gelten werden, wenn die gerade im Gesetzgebungsverfahren befindliche EU-Cybersicherheitsverordnung eingehalten werden wird.
G. Konformitätsbewertungsverfahren
Dreh- und Angelpunkt für das zukünftige Recht der Konformitätsbewertung ist Art. 25 MVO. Derzeit wird zwischen den sog. Anhang-IV-Maschinen einerseits und den restlichen Maschinen andererseits unterschieden. In allen Fällen kommt dabei die interne Fertigungskontrolle in Betracht. Dies gilt selbst bei den potenziell kritischeren Anhang-IV-Maschinen, wenn und soweit harmonisierte Normen zugrunde gelegt werden (Art. 12 Abs. 3 Buchst. a) RL 2006/42/EG).
In Zukunft wird diese (industriefreundliche) Vorgehensweise nicht mehr in allen Fällen zugelassen, d.h. es wird Szenarien geben, in denen zwingend eine notifizierte Stelle einzuschalten ist. Dabei sind folgende vier Fallgruppen zu unterscheiden:
- Maschine ist in Teil A des Anhangs I der MVO aufgeführt (Art. 25 Abs. 2 MVO).
- Maschine ist in Teil B des Anhangs I der MVO aufgeführt und wurde nicht nach für diese Kategorie von Maschinen oder dazugehörigen Produkten harmonisierten Normen oder gemeinsamen Spezifikationen hergestellt.
- Maschine ist in Teil B des Anhangs I der MVO aufgeführt und wurde nach für diese Kategorie von Maschinen oder dazugehörigen Produkten harmonisierten Normen oder gemeinsamen Spezifikationen hergestellt.
- alle übrigen Maschinen
Im betreffenden Teil A, der aus sechs Nummern besteht, werden etwa trennenden Schutzeinrichtungen für abnehmbare Gelenkwellen (Nr. 1) oder Hebebühnen für Fahrzeuge (Nr. 3) genannt. Gegenstand von Teil B mit insgesamt 19 Nummern wiederum sind z.B. bestimmte Arten von Einblatt- und Mehrblatt-Kreissägen etwa zum Bearbeiten von Holz (Nr. 1), Handkettensägen für die Holzbearbeitung (Nr. 8) oder Logikeinheiten für Sicherheitsfunktionen (Nr. 17). Im Ergebnis wurden also die bisherigen Anhang-IV-Maschinen (mit ihren 23 Einträgen) grosso modo auf den neuen Anhang I der MVO übertragen, wobei nunmehr zwei unterschiedliche Risikogruppen gebildet werden (Teil A und Teil B). Die im Anhang I genannten Maschinen können als Hochrisikomaschinen bezeichnet werden, auch wenn dieser Begriff keinen Eingang in die EU-Maschinenverordnung gefunden hat.
Bei den in Teil A genannten Maschinenkategorien kommen nur die folgenden Module bzw. Modulkombinationen in Betracht: Modul B+C, Modul G oder Modul H. Diese drei Module bzw. Modulkombinationen sind auch anwendbar, wenn eine Maschine in Teil B aufgeführt wird und keine harmonisierten Normen oder gemeinsamen Spezifikationen angewendet werden. Umgekehrt kommt die interne Fertigungskontrolle (Modul A) bei diesen Maschinen in Betracht, wenn harmonisierte Normen oder gemeinsame Spezifikationen zur Anwendung gelangen. Schließlich gilt das Modul A auch für alle anderen als die in Anhang I der MVO genannten Maschinen. Das Modul A bleibt also der gesetzliche Normalfall.
H. Fazit
Die Anpassung des Maschinenrechts (aus dem Jahr 2006!) sowohl an zwischenzeitliche technische Entwicklungen wie namentlich die KI und die Cybersicherheit als auch an den Status quo der Gesetzgebung im europäischen Produktsicherheitsrecht war überfällig. Für die Wirtschaftsakteure gehen damit allerdings auch neue Pflichten einher, die aufmerksam in den Blick zu nehmen sind: Die Hersteller, Bevollmächtigten, Einführer und Händler müssen prüfen, ob sie schon jetzt bereit sind, diese Pflichten zu erfüllen oder ob und wenn ja, welche Anpassungen vorzunehmen sind. Der Vorteil ist, dass für etwaige Anpassungen Zeit bis zum 20.01.2027 sein wird.
Zu begrüßen ist der Einzug der Digitalisierung ins Maschinenrecht, auch wenn dieser Paradigmenwechsel erwartungsgemäß noch sehr behutsam in Angriff genommen wird. Ob die nur leicht veränderte Definition der unvollständigen Maschine in Zukunft zu weniger Auslegungsproblemen führen wird, bleibt abzuwarten. Besonders wahrscheinlich ist es bei Lichte betrachtet nicht. Innerhalb der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen sind insbesondere die neuen Vorgaben an die KI sowie die Cybersecurity zu beachten.
Wichtig ist schließlich erstens die Beachtung der (leichten) Verschärfung im Recht der Konformitätsbewertung: Bei sechs Kategorien von (Hochrisiko-)Maschinen wird in Zukunft ausnahmslos eine notifizierte Stelle einzuschalten sein. Zweitens darf nicht übersehen werden, dass die wesentliche Veränderung insbesondere von Maschinen zukünftig gesetzlich definiert sein wird, wobei sich der Gesetzgeber erfreulicherweise eng am BMAS-Papier orientiert hat.
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