Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten

Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten

Angesichts der zunehmenden Beschleunigung des Klimawandels und der schwindenden Biodiversität auf globaler Ebene, ist der Schutz intakter Wälder von essenzieller Bedeutung für eine integrierte Klima- und Umweltschutzpolitik. Daher wird es auch EU-Ebene künftig umfassende Verkehrsverbote und Sorgfaltspflichten zum Schutz globaler Wälder geben.

In diesem Zusammenhang hat die EU-Kommission am 17.11.2021 einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die in Verbindung mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt sowie ihre Ausfuhr aus der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 995/2010 vorgelegt. Die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Institutionen sind insoweit innerhalb nur eines Jahres zu einer Einigung gelangt. Am 19.04.2023 hat nun das Parlament mit einer breiten Mehrheit für die Verordnung in der Trilogfassung gestimmt.

A. Hintergrund

Jährlich werden weltweit ca. 10 Millionen Hektar Wald vernichtet. Dies entspricht ungefähr einem Drittel der Fläche ganz Deutschlands. Dadurch gehen Lebensräume für Tiere und Pflanzen, wertvolle Luft- und Bodenreinigungsfunktionen und CO2-Speicherkapazitäten verloren und es kommt zu global wirksamen, negativen Auswirkungen auf das Klima. Weil auch und gerade der Konsum in der EU in nicht unerheblichem Maße zu Rodungen und Waldschädigungen in allen Teilen der Erde beiträgt, versucht die EU der zügellosen Abholzung nun einen Riegel vorzuschieben. Da die Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Nutzflächen ca. 90 % der Abholzungen auslöst, liegt der Fokus auf landwirtschaftlichen Erzeugnissen und daraus hergestellten Produkten.

Aufgrund des umfassenden Charakters der neuen Vorordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten wird die bislang rein auf Holz und Holzerzeugnisse anwendbare Verordnung (EU) Nr. 995/2010 obsolet und daher aufgehoben. Inhaltlich gehen die dortigen Verbote in den neuen Vorgaben auf, wobei es gewisse Übergangsfristen geben wird, um zeitliche Regelungslücken in diesem Zusammenhang zu vermeiden (vgl. Art. 35 der Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten).

B. Erfasste Produkte und Akteure

Die neue Verordnung wird Verkehrsverbote und Sorgfaltspflichten für die folgenden Erzeugnisse und daraus hergestellte Waren mit sich bringen: Rinder, Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja und Holz. Die konkret erfassten Produkte sind in Anhang I der Verordnung über Verweise auf Zolltarifnummern näher konkretisiert. Zu beachten ist dabei, dass die Verordnung nicht auf Produkte anwendbar sein wird, die vollständig aus Sekundärrohstoffen hergestellt wurden, wie beispielsweise Holzwerkstoffe aus Altholz.

Haupt- bzw. Primärverpflichtete sind alle Unternehmen, die erstmals erfasste Produkte gewerblich auf dem Markt der EU bereitstellen oder solche gewerblich aus der EU exportieren (sog. Marktteilnehmer). Die einschlägige Rollendefinition in Art. 2 Abs. 12 der Verordnung nimmt dabei zunächst keine Unterscheidung zwischen in der EU und außerhalb der EU ansässigen Wirtschaftsakteuren vor. Falls der betreffende Wirtschaftsakteur allerdings nicht in der EU ansässig ist, ordnet Art. 7 der Verordnung an, dass in diesem Fall dennoch derjenige in der EU ansässige Wirtschaftsakteur als Primärverpflichteter gilt, der die erfassten Produkte erstmals auf dem Markt der EU bereitstellt. Diese Primärverpflichteten müssen die Kernpflichten der neuen Verordnung einhalten (dazu sogleich).

Hiervon sind reine Händler abzugrenzen, die nicht gleichzeitig auch unter die Definition der Marktteilnehmer fallen. Händler sind nach Art. 2 Abs. 13 der Verordnung alle, die erfasste Produkte gewerblich auf dem Markt bereitstellen. Allerdings ist zu beachten, dass Händler die keine KMUs im Sinne der Richtlinie 2013/34/EU sind, nach Art. 4a Abs. 2 der Verordnung als Primärverpflichtete gelten und alle diesbezüglichen Pflichten erfüllen müssen. Letztlich greift der händlerspezifisch eingeschränkte Pflichtenkanon, der Insbesondere Informationsbeschaffungs- und Aufbewahrungspflichten umfasst, aus Art. 4a Abs. 3-5 der Verordnung nur für solche Händler, die unter die KMU-Definition fallen.

C. Verkehrsverbote und Sorgfaltspflichten

Während das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz „lediglich“ Sorgfaltspflichten vorsieht und Produkten, die unter Verstoß dagegen hergestellt wurden, nicht die Verkehrsfähigkeit abspricht, sieht die neue Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten eine andere Regelungssystematik vor. Daher ist es für das Verständnis der neuen Regelungen wichtig, die Systematik des Rechtsaktes und die Anknüpfungspunkte der jeweiligen Pflichten unvoreingenommen und im spezifischen Kontext zu betrachten.

Die zentrale Verbotsnorm der neuen Verordnung ist Art. 3. Dieser enthält drei kumulative Voraussetzungen, die allesamt erfüllt sein müssen, damit die Produkte in diesem Zusammenhang verkehrsfähig sind:

  • Entwaldungsfreiheit

Der Begriff der „Entwaldungsfreiheit“ ist in Art. 2 Abs. 8 der Verordnung definiert und umfasst zwei Schutzkategorien. Die erste Kategorie betrifft Produkte, die keine Erzeugnisse enthalten dürfen, nicht mit solchen gefüttert sein dürfen und nicht unter Zuhilfenahme von solchen hergestellt sein dürfen, die auf Flächen produziert wurden, die ab dem 01.01.2021 abgeholzt wurden. Die zweite Kategorie betrifft explizit Produkte, die kein Holz enthalten oder unter Zuhilfenahme von Holz produziert sein dürfen, wenn das erforderliche Holz ab dem 01.01.2021 in einer den Wald schädigenden Art und Weise geschlagen wurde.

Von zentraler Bedeutung ist dabei zunächst das in die Vergangenheit reichende sog. Cut-off-Datum am 01.01.2021. Während die Verkehrsverbote und Sorgfaltspflichten zwar erst am dem Geltungsbeginn der neuen Verordnung anzuwenden sein werden, wird das Cut-off-Datum ungefähr drei Jahre in die Vergangenheit reichen. Dies insbesondere deshalb, um verstärkte (vorbeugende) Abholzung und Waldschädigung während des laufenden Gesetzgebungsverfahrens zu vermeiden.

Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass es für das Eingreifen der Verkehrsverbote nicht darauf ankommt, ob eine etwaige Abholzung oder Waldschädigung legal oder illegal durchgeführt wurde. Die EU befürchtet insoweit, dass es zum Schutz der eigenen Land- und Forstwirtschaft in manchen Ländern zu einem legislativen „race to the bottom“ im Hinblick auf nationale Schutzstandards von Wäldern kommen könnte, wenn Produkte aus legaler Abholzung und Waldschädigung nicht von den Verkehrsverboten umfasst wären.

  • Einhaltung relevanter gesetzlicher Bestimmungen im Produktionsland

Zusätzlich zur im Verordnungstitel genannten Entwaldungsthematik enthält die Verordnung etwas versteckt auch eine Vorgabe zur Einhaltung „relevanter gesetzlicher Bestimmungen im Produktionsland“. Bei näherer Betrachtung der hiervon erfassten Themenbereiche zeigt sich jedoch sehr schnell, dass hiermit ein enorm breites Spektrum an Regelungsbereichen umfasst wird, welche bei Lichte betrachtet in keinem (unmittelbaren) Zusammenhang mit dem Schutz der Wälder mehr stehen. Betroffene Wirtschaftsakteure müssen nach der insoweit einschlägigen Definition aus Art. 2 Abs. 28 der Verordnung die Vorgaben aus den folgenden Bereichen einhalten: Landnutzung, Umweltschutz, Vorgaben in Bezug auf Wälder mitsamt Waldmanagement und Erhaltung von Biodiversität, Rechte Dritter, Arbeitsrecht, international geschützte Menschenrechte, Rechte indigener Gruppen, Steuer-, Anti-Korruptions-, Handels- und Zollrecht. Diese wurden in der Trilogfassung nochmals erheblich ausgeweitet.

  • Abgabe einer Sorgfaltspflichtenerklärung

Die Pflicht zur Abgabe einer Sorgfaltspflichtenerklärung ist in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung näher konkretisiert und betrifft alle als Primärverpflichtete bezeichneten Marktteilnehmer. Diese Erklärung stellt produktbezogen (nicht allein rollenbezogen) den Abschluss der durchzuführenden Maßnahmen dar, mit denen festgestellt werden muss, dass entweder kein oder nur ein vernachlässigbares Risiko dafür besteht, dass es in Bezug auf die betroffenen Produkte zur Abholzung oder einer Waldschädigung gekommen ist. Dabei ist die Sorgfaltspflichtenerklärung kein rein internes Dokument, sondern muss der national zuständigen Behörde, die eine individuelle Referenznummer pro Erklärung erteilt, in einer noch einzurichtenden Datenbank zur Verfügung gestellt werden. Die in diesem Zusammenhang zugewiesene Referenznummer muss sodann wiederum in der Lieferantenkommunikation mitgeteilt werden (Art. 4 Abs. 8 und Art. 4a Abs. 3 der Verordnung).

In diesem Kontext kommt sodann den gesetzlich vorgegebenen Sorgfaltspflichten aus den Art. 8-10a der Verordnung eine deutlich spezifischere Bedeutung zu als dies beispielsweise im Rahmen des LkSG der Fall ist. Im Kontext der Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten dienen die Sorgfaltspflichten nach ihrer Konzeption und Systematik dezidiert dazu, dass im Rahmen des zugrunde liegenden Prozesses nachgewiesen wird, dass die Produkte ohne Abholzung und ohne Waldschädigung produziert wurden. Ausreichend ist daneben der Nachweis eines vernachlässigbaren Risikos dafür, dass es doch zu Abholzungen oder Waldschädigungen gekommen sein könnte. Herzstück der Sorgfaltspflichten ist sicherlich die Informationsbeschaffung, die neben einer detaillierten Produktbeschreibung insbesondere erfordert, dass alle Geodaten der Produktionsflächen der betroffenen Erzeugnisse mit Längen- und Breitengraden erfasst werden (Art. 9 der Verordnung). Auf Basis der gesammelten Informationen ist sodann eine umfassende, an 14 Referenzkriterien orientierte Risikoanalyse (Art. 10 der Verordnung) durchzuführen, deren Ergebnisse zusammen mit den Informationsgrundlagen zu dokumentieren und auf Verlangen der zuständigen Behörde vorzulegen sind. Bei über das Maß eines bloß vernachlässigbaren Risikos hinausgehenden Anhaltspunkten sind zudem Risikominimierungsmaßnahmen zu ergreifen.

In diesem Zusammenhang ist schließlich auf das neu eingeführte Länder-Benchmarkingsystem in Art. 27 der Verordnung hinzuweisen. Danach ist die EU-Kommission verpflichtet, alle Länder der Erde oder sogar einzelne Regionen innerhalb einzelner Länder, in eine von drei Kategorien einzuteilen: Geringes oder hohes Risiko für Abholzung oder Waldschädigung bzw. normales Risiko, wenn keine der anderen beiden Kategorien einschlägig ist. Die Kategorisierungen sollen in Durchführungsrechtsakten veröffentlicht und regelmäßig überprüft werden. In diesem Kontext sieht Art. 12 der Verordnung bei geringem Risikoprofil einen reduzierten Umfang der anzuwendenden Sorgfaltspflichten vor, wenn weitere Voraussetzungen gegeben sind. Zudem orientiert sich die behördliche Kontrolldichte an den Risikokategorien (vgl. Art. 14 Abs. 9-10a der Verordnung).

Ausblick

Die neue Verordnung wird in ihren wesentlichen Teilen 18 Monate nach ihrem Inkrafttreten anzuwenden sein. Bei einem voraussichtlichen Inkrafttreten Mitte 2023 ist daher mit einem Geltungsbeginn Anfang 2025 zu rechnen.

Angesichts erstens hoher Sanktionsandrohungen (Art. 23 der Verordnung), einer zweitens namentlichen Veröffentlichung von Verstößen, einer drittens engmaschig implementierten, markt- und behördenseitigen Kontrollarchitektur und schließlich viertens der zunehmenden Popularität dieser Themen sollten betroffene Unternehmen die Vorgaben ernst nehmen und spätestens ab der Veröffentlichung der neuen Verordnung im Amtsblatt der EU mit deren Umsetzung beginnen. Gerade aufgrund der erforderlichen, enorm detaillierten Informationen wird der Prozess der Informationsgewinnung erfahrungsgemäß viel Zeit in Anspruch nehmen und keinen geringen Erklärungsbedarf bei den Lieferanten auslösen. Im Gegensatz zum LkSG droht mit dem Geltungsbeginn der neuen Verordnung zudem ein hartes Verkehrsverbot, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass die betroffenen Erzeugnisse und Produkte ohne Abholzung und ohne Waldschädigung erzeugt wurden bzw. hierfür nur ein vernachlässigbares Risiko besteht.

Schließlich wird die EU-Kommission innerhalb der ersten beiden Jahre nach dem Inkrafttreten der Verordnung überprüfen, ob diese auf weitere Ökosysteme und Produkte ausgeweitet werden sollte. Damit könnte es bereits kurz nach dem Geltungsbeginn der Vorgaben zu einer Ausweitung auf weitere Bereiche kommen.

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