In diesem Zusammenhang hat die EU-Kommission am 15.02.2023 ein Aufforderungsschreiben an Frankreich gerichtet (INFR(2022)4028). In diesem Schreiben, das als solches noch nicht veröffentlicht ist, äußerte die EU-Kommission Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der französischen Anforderungen mit den grundlegenden Binnenmarktprinzipien des freien Warenverkehrs, die in Art. 34 bis 36 AEUV niedergelegt sind. Dieses Aufforderungsschreiben ist der erste Schritt zur Einleitung eines förmlichen Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 258 AEUV.
Was ist der Hintergrund des Verfahrens?
Die Kennzeichnung und Etikettierung von Produkten und Verpackungen mit Hinweisen zur Abfallsortierung für den Verbraucher ist derzeit nicht durch harmonisierte EU-Vorschriften geregelt, insbesondere nicht durch die Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle. Folglich gefährden nationale Kennzeichnungsvorschriften, die in den letzten Monaten tendenziell zugenommen haben, den Grundsatz des freien Warenverkehrs und könnten sogar zu unbeabsichtigten negativen Umweltauswirkungen führen. In diesem Zusammenhang führt die Notwendigkeit, Produkte und Verpackungen für verschiedene Länder oder Ländergruppen getrennt zu etikettieren, zu einem erhöhten Ressourcenverbrauch für zusätzliche Etikettierung und zu zusätzlichem Abfall, der durch Verpackungen entsteht die größer sind als eigentlich notwendig, nur um alle erforderlichen Zeichen, Logos und Informationen darauf anbringen zu können.
Aus Sicht der Kommission scheinen die französischen Behörden keine ausreichende Analyse der Verhältnismäßigkeit ihrer politischen Entscheidung durchgeführt zu haben, da andere geeignete Optionen zur Verfügung stehen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten möglicherweise weniger einschränken, aber vergleichbar wirksam sind. Darüber hinaus verstieß Frankreich auch gegen die Mitteilungspflichten gemäß der Binnenmarkttransparenzrichtlinie (Richtlinie (EU) 2015/1535), da die fraglichen Bestimmungen (siehe unten) der Kommission nicht rechtzeitig mitgeteilt wurden.
Welche Rechtsbereiche sind betroffen?
Zur Erinnerung: Frankreich hat vor kurzem einen Versuch unternommen, den Grünen Punkt zu verbieten, da er als potenziell verwirrend angesehen wird, und ihn durch seine eigene Kennzeichnung zu ersetzen. Während das Verbot vom französischen Conseil d’Etat ausgesetzt wurde, wurde die Triman-Verpflichtung durch Artikel 17 des Gesetzes Nr. 2020-105 vom 10. Februar 2020 über die Bekämpfung von Abfällen und die Kreislaufwirtschaft eingeführt, mit dem der Artikel L541-9-3 in das Umweltgesetzbuch eingefügt wurde. Dieser besagt, dass jedes Produkt, das für Haushalte in Verkehr gebracht wird, die unter Artikel L541-10 I fallen (d.h. Produkte, die der EPR-Verpflichtung unterliegen), mit Ausnahme von Glasgetränkeverpackungen für Haushalte, einer Kennzeichnungspflicht dahingehend unterliegt, dass der Verbraucher darüber informiert wird, dass dieses Produkt den Sortiervorschriften unterliegt.
Diese gesetzlichen Bestimmungen wurden durch die Verordnung Nr. 2021-835 vom 29.06.2021 ergänzt (Env. C. R541-12-18 et seq.). In der Praxis ergibt sich daraus die Verpflichtung, das Triman-Logo und die dazugehörigen Sortierhinweise auf Produkten und Verpackungen, auf Produkten oder in In-Box-Dokumenten anzubringen. Einige Ausnahmeregelungen erlauben die Darstellung des Logos und der Hinweise im Internet, aber nur dann, wenn die Form/Größe der Produkte oder Verpackungen eine Darstellung direkt auf dem Produkt oder der Verpackung nicht zulässt.
Wie wird Frankreich wahrscheinlich reagieren?
Zu den Argumenten, die die französische Regierung der Mitteilung der Kommission entgegensetzen dürfte, gehört die Tatsache, dass diese Regelung alternative Kennzeichnungen zulässt. Artikel R512-20-20 des Umweltgesetzbuchs sieht diesbezüglich vor: „Hersteller von Produkten, die in Frankreich einem erweiterten Haftungssystem unterliegen, können die Kennzeichnung durch eine andere gemeinsame Kennzeichnung ersetzen, die von der Europäischen Union oder einem anderen Mitgliedstaat gemäß dem in den Artikeln 34 und 36 AEUV vorgesehenen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung geregelt ist, sofern diese andere Kennzeichnung den Verbraucher darüber informiert, dass die betreffenden Produkte den Sortiervorschriften unterliegen und dass sie verbindlich ist.“
Bis heute haben sich die französischen Behörden jedoch nicht zu der Pressemitteilung der Kommission geäußert. Interessanterweise haben auch Belgien, Italien und Spanien eigene Vorschriften erlassen. Auch sie könnten also bald ins Visier der Kommission geraten.
Wie geht es mit diesem Verfahren weiter?
Frankreich hat nun zwei Monate Zeit, um auf die von der Kommission geäußerten Bedenken einzugehen. Wenn die Kommission danach immer noch der Meinung ist, dass Frankreich gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs verstößt, kann sie eine so genannte mit Gründen versehene Stellungnahme an Frankreich richten. Der Hauptinhalt einer solchen mit Gründen versehenen Stellungnahme ist die förmliche Aufforderung, das EU-Recht innerhalb einer Frist von in der Regel zwei Monaten einzuhalten.
Wenn Frankreich seinen Rechtsrahmen dann immer noch nicht im Einklang mit dem EU-Recht ändert, kann die Kommission beschließen, den Europäischen Gerichtshof anzurufen. Wenn die Kommission den Gerichtshof gemäß Art. 258 AEUV mit der Begründung anruft, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, Maßnahmen zur Umsetzung einer im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens erlassenen Richtlinie mitzuteilen, kann sie, wenn sie dies für angemessen hält, die Höhe des von dem betreffenden Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgelds festlegen, die sie unter den gegebenen Umständen für angemessen hält. Stellt der Gerichtshof eine Vertragsverletzung fest, so kann er gegen den betreffenden Mitgliedstaat einen Pauschalbetrag oder ein Zwangsgeld verhängen, der bzw. das den von der Kommission festgesetzten Betrag nicht übersteigt (vgl. Art. 260 Abs. 3 AEUV).
Es ist jedoch zu beachten, dass die bloße Tatsache, dass ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich eingeleitet wird, die Anwendung der französischen Anforderungen nicht aufhält. Die oben genannten Verpflichtungen bleiben in Kraft. Die französischen Behörden können und werden die TRIMAN-Vorschriften weiterhin durchsetzen. Daher sollten sich Hersteller und Importeure vorerst nicht auf die Annahme verlassen, dass diese Vorschriften irgendwann geändert oder gar aufgehoben werden.
Auswirkungen des Entwurfs der Verpackungsverordnung
Am 30.11.2022 hat die Kommission ihren Vorschlag für eine Verpackungs- und Verpackungsabfallverordnung veröffentlicht (wir haben berichtet: Kommissionsvorschlag für eine EU-Verpackungsverordnung).
Mit Art. 11 des Entwurfs der Verpackungsverordnung möchte die EU-Kommission der zunehmenden Entwicklung eines Flickenteppichs von Kennzeichnungsgesetzen auf Ebene der Mitgliedstaaten durch die Einführung einheitlicher Kennzeichnungsvorschriften wirksam begegnen. Inhaltlich geht es dabei zum einen um die stoffliche Zusammensetzung der Verpackungen und zum anderen um Angaben zur Wiederverwendbarkeit. Darüber hinaus müssen Hersteller und Importeure künftig ihren Namen und ihre Kontaktdaten sowie eine Serien- oder Chargennummer anbringen. Allerdings wird die Anwendung des Gesetzes wiederum in mehrfacher Hinsicht dadurch erschwert, dass die konkreten Kennzeichnungsanforderungen zunächst von der Kommission in einem Durchführungsrechtsakt festgelegt werden müssen. Dies bedeutet, dass eine konkrete operative Vorbereitung auf die neuen Kennzeichnungsvorschriften vorerst nicht möglich ist, da die entsprechenden Details erst in dem besagten Durchführungsrechtsakt geregelt werden müssen. Dieser muss spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten der Verpackungsverordnung veröffentlicht werden und die betroffenen Unternehmen haben dann 42 bzw. 48 Monate ab Inkrafttreten der Verpackungsverordnung Zeit, diese Anforderungen umzusetzen. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass die EU-Verpackungsverordnung eine schnelle Lösung für das hier adressierte Problem darstellen wird.
Wie können David Desforges, Avocat à la Cour, und die Produktkanzlei helfen?
David Desforges und die Produktkanzlei arbeiten häufig zusammen, um unsere gemeinsame Erfahrung im Bereich des produktbezogenen Umweltrechts in Frankreich, in Deutschland und im gesamten EU-Binnenmarkt zusammenzubringen. Wir beraten unsere Mandanten zu spezifischen Themen, umfassenderen Strategien zur Einhaltung von Vorschriften und arbeiten mit anderen Experten auf der ganzen Welt zusammen, um eine umfassende Beratung in vielen Rechtsgebieten zu bieten. Wenn Sie diese Themen weiter besprechen möchten, nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
Dieser Artikel wurde von David Desforges und Michael Öttinger von der Produktkanzlei verfasst. Sie können David Desforges unter den folgenden Kontaktdaten erreichen: