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Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid in Pulverform

EuG erklärt harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid in Pulverform für nichtig

Das Europäische Gericht (EuG) hat die Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid in Pulverform gemäß Delegierte Verordnung (EU) 2020/217 für nichtig erklärt.

Das Gericht stellt im Urteil vom 23.11.2022 (Rs. T-279/20, T-288/20 und T-283/20) dabei maßgeblich darauf ab, dass die angefochtene Einstufung und Kennzeichnung gegen das Kriterium verstoßen hat, wonach sich die Einstufung eines Stoffes als karzinogen nur auf einen Stoff mit der intrinsischen Eigenschaft, Krebs zu erzeugen, beziehen darf. Die hier in Rede stehende Einstufung von Titandioxid basierte jedoch nicht auf intrinsischen Eigenschaften, sondern folge aus einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren.

Klarstellung zum Begriff der „intrinsischen Eigenschaften“

Das Gericht stellt dabei klar, dass der Begriff der „intrinsische Eigenschaften“ nur diejenigen Eigenschaften eines Stoffes umfasst, die ihm eigen sind. Im Licht dieses Begriffs der intrinsischen Eigenschaften seien daher Art. 3 Abs. 1 und Art. 36 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Anhang I Abschnitt 3.6.2.2.1 der Verordnung Nr. 1272/2008 (CLP) dahingehend auszulegen, dass eine Einstufung eines Stoffes als karzinogen nur auf Eigenschaften des Stoffes beruhen darf, die dem Stoff eigen sind.

Im vorliegenden Fall begründe sich die Einstufung von Titandioxid als karzinogen jedoch auf bestimmte Formen von Titandioxidpartikeln, die zudem in einem bestimmten Aggregatzustand, einer bestimmten Größe und einer bestimmten Menge vorhanden sein müssen. Zudem zeige sich die Gefahr der Karzinogenität, auf die sich die angefochtene Einstufung und Kennzeichnung bezieht, nur bei einer Lungenüberlastung, d. h. beim Einatmen großer Mengen von Partikeln, die zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Reinigungsmechanismen für Partikel in den Lungen führen. Damit folgt das Gericht einer engen, wortlautgetreuen Auslegung des Begriffs der intrinsischen Eigenschaften, auch wenn dieser in der CLP-Verordnung nicht enthalten ist.

Auswirkungen in der Praxis

Die mit der angefochtenen Verordnung eingeführte Kennzeichnungspflicht (vgl. Anhang VI Teil 1 Nr. 1.1.3.2, Anmerkung 10 CLP) mit den Hinweisen EUH 211 bzw. EUH 212 würde mit der nun vorliegenden Entscheidung ihrer Rechtsgrundlage beraubt. Allerdings ist zunächst festzuhalten, dass die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist. Gegen die Entscheidung des Gerichts kann noch ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden. Betroffene Unternehmen sollten deshalb zunächst den weiteren Verfahrensgang verfolgen.

Folgewirkungen für geplante CLP-Anpassungen

Unabhängig davon erweist sich die Entscheidung schon jetzt als wegweisend. Insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung neuer Gefahrenklassen in der CLP-Verordnung dürften sich weitere Fragen ergeben. So soll etwa die Gefahrenklasse der persistenten, mobilen und toxischen Stoffe bzw. der sehr persistenten und sehr mobilen Stoffe eingeführt werden. Auch hierzu verweist die Kommission in Ihrem Vorschlag für eine entsprechende Delegierte Verordnung ausdrücklich darauf, dass es sich insofern um „intrinsische“ Eigenschaften der Stoffe handle. Im Lichte der nun vorliegenden Entscheidung dürfte aber zumindest fraglich sein, ob es sich hinsichtlich des Kriteriums der Mobilität tatsächlich um eine intrinsische Eigenschaft handelt. Bereits im Rahmen der Konsultation zu dem Vorschlag der Kommission wurden Zweifel an dieser Einordnung und der Einführung dieser Gefahrenklasse geäußert. Diese kritischen Stimmen dürften sich durch die Entscheidung des EuG gestärkt sehen. Hinzu kommt, dass der Vorschlag der Kommission zur Einführung neuer Gefahrenklassen auch vor dem Hintergrund der beschränkten Rechtssetzungskompetenzen der Kommission nach Art. 53, Art. 53a CLP kritisch zu bewerten ist.

Die Kommission ist gemäß der CLP-Verordnung nur befugt ist, delegierte Rechtsakte gemäß Art. 53a CLP zur Änderung von Art. 6 Abs. 5, Art. 11 Abs. 3, Art. 12 und 14, Art. 18 Abs. 3 Buchst. b), Art. 23, Art. 25 bis 29, Art. 35 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 und die Anhänge I bis VIII zur Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt unter gebührender Berücksichtigung der Weiterentwicklung des GHS, insbesondere etwaiger UN-Änderungen in Bezug auf die Verwendung von Informationen über ähnliche Gemische, und unter Berücksichtigung der Entwicklungen in international anerkannten chemischen Programmen und der Daten aus Unfalldatenbanken, zu erlassen. Die Änderung der CLP-Verordnung zur Einführung neuer Gefahrenklassen fällt nicht unter diese Befugnisse. Obwohl die Kommission auf eine Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt verweist, sind die Befugnisse auf entsprechende Änderungen des Anhangs I beschränkt, soweit Entwicklungen des zugrunde liegenden GHS eine solche Änderung erfordern. In den Art. 53 und 53a CLP sind keine Befugnisse für die Kommission vorgesehen, neue Gefahrenklassen einzuführen, die von der bestehenden GHS-Regelung abweichen. Zuletzt war auf Seiten einschlägiger Industrieverbände zu vernehmen, dass Bedenken in Bezug auf die Rechtssetzungsbefugnisse der Kommission eher nicht weiterverfolgt werden sollen. Mit Blick auf die nun vorliegende Entscheidung dürfte diese Position zumindest in Bezug auf die Einführung von mobilitätsbasierten Gefahrenklassen (PMT, vPvM) überdenkenswert sein.

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24. November 2022 Martin Ahlhaus