Lieferkettengesetz und Modern Slavery Act

Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in der Lieferkette: Deutschland und Großbritannien im Vergleich

Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich Sorgfaltspflicht in der Lieferkette sehr dynamisch entwickeln. Dies wird durch eine wirkmächtige Kombination aus dem Fokus der Investoren auf ESG-Belange, der steigenden Nachfrage der Verbraucher nach nachhaltigen Produkten, gepaart mit einer zunehmenden Skepsis gegenüber „Greenwashing“, und einer verstärkten staatlichen Regulierung hervorgerufen.

Deutschland ist das neueste Land, das eine verstärkte Unternehmensverantwortung für globale Lieferketten gesetzlich festschreibt. Wir haben gemeinsam mit der unter anderem ebenfalls auf das Produktrecht spezialisierten Kanzlei Burges Salmon einen Blick auf die Vorgaben des deutschen Lieferkettengesetzes geworfen und diese mit dem britischen Pendant, dem Modern Slavery Act 2015, verglichen (einen ausführlichen Beitrag von Burges Salmon zum Modern Slavery Act 2015 finden Sie hier).

Am 25. Juni 2021 hat der Deutsche Bundesrat, nach der Abstimmung im Deutschen Bundestag am 11. Juni 2021, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz (Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, beschlossen in der Ausschussfassung BT-Drs. 19/30505) gebilligt und damit verbindliche menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten in Lieferketten für große Unternehmen eingeführt. Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird ab dem 1. Januar 2023 Unternehmen mit 3.000 oder mehr Mitarbeitern umfassen und ab 2024 wird die Schwelle auf Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern gesenkt. Das Lieferkettengesetz konzentriert sich, wie der Modern Slavery Act, auf die Menschenrechte, hat aber einen breiteren Geltungsbereich der auch Umweltrisiken in Bezug nimmt.

Wesentliche Verpflichtungen

Die nachstehende Zusammenfassung der wesentlichen Verpflichtungen gibt einen Überblick darüber, welche Pflichten nach dem Lieferkettengesetz und dem Modern Slavery Act 2015 bestehen.

Risikomanagement und Prävention

Nach dem deutschen Gesetz müssen Unternehmen jährlich eine umfassende Risikoanalyse der Lieferkette durchführen (zusätzlich zu eventuellen anlassbezogenen Risikoanalysen) und dabei eine festgelegte und abschließende Liste von Risikobereichen berücksichtigen, die auszugsweise die folgenden Themen umfasst: Kinderarbeit, Diskriminierung, problematische Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sowie Umweltschäden. Im Hinblick auf Umweltbelange gibt es zwei verschiedene Kategorien. Einerseits verbietet das Gesetz die Verursachung von schädlichen Bodenverunreinigungen, Wasser- oder Luftverschmutzungen, schädlichen Lärmemissionen oder übermäßigem Wasserverbrauch, wenn diese Handlungen die natürlichen Grundlagen für die Erhaltung und Erzeugung von Nahrungsmitteln wesentlich beeinträchtigen, einer Person den Zugang zu sauberem Trinkwasser verwehren, den Zugang zu sanitären Einrichtungen behindern oder zerstören oder die Gesundheit einer Person schädigen. Andererseits werden Verstöße gegen das Minamata-Übereinkommen über Quecksilber, das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe und das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung unabhängig von ihren Auswirkungen auf die Menschenrechte als Umweltrisiken betrachtet.

Die Analyse muss alle Standorte und Prozesse innerhalb eines Unternehmens und die der unmittelbaren Zulieferer berücksichtigen, wohingegen indirekte Zulieferer nur bei substanzieller Kenntnis von Menschenrechts- oder Umweltverletzung einbezogen werden müssen. Die Ergebnisse der Analyse müssen von der verantwortlichen Person im Unternehmen, ggf. dem ernannten Menschenrechtsbeauftragten („HRO“), an Schlüsselpersonen im Unternehmen, einschließlich des Vorstands und des Einkaufs, kommuniziert werden.

Basierend auf den Ergebnissen der Risikoanalyse schreibt das Gesetz vor, dass Unternehmen geeignete Präventionsmaßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel die Abgabe einer Grundsatzerklärung, die Durchführung von Schulungen und die Aktualisierung von Schulungsmaterialien, die Durchführung von vertieften Audits und die Überprüfung von Lieferantenverträgen. Die konkret umzusetzenden Präventionsmaßnahmen sind von jedem Unternehmen im Einzelfall zu bestimmen und richten sich nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens und der Höhe des Risikos.

Im Vereinigten Königreich müssen überhaupt keine Risikomanagement- oder Präventionsmaßnahmen ergriffen werden. Es besteht lediglich die Verpflichtung, eine Transparenzerklärung zu veröffentlichen, in der dargelegt wird, was (wenn überhaupt) getan wurde. Der Leitfaden zum Modern Slavery Act schreibt auch die Form der Transparenzerklärung nicht vor, schlägt jedoch vor, dass sie die Schritte aufführt, die das Unternehmen während des Geschäftsjahres unternommen hat, um sicherzustellen, dass in keiner ihrer Lieferketten Sklaverei und Menschenhandel stattfinden. Hierbei sollen sodann auch die vom Unternehmen ergriffenen Maßnahmen zur Minimierung von Risiken und Verstößen aufgeführt werden. Es ist auch im UK nicht erforderlich, dass ein HRO ernannt wird, jedoch muss eine geeignete leitende Person im Unternehmen (im Allgemeinen ein Direktor) die Transparenzerklärung vor ihrer Veröffentlichung unterzeichnen.

Abhilfemaßnahmen und Beschwerdeverfahren

Das deutsche Gesetz schreibt vor, dass im Falle eines festgestellten Verstoßes sofortige Maßnahmen zu ergreifen sind. Das verletzende Unternehmen ist im eigenen Geschäftsbetrieb gezwungen, Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um die Verstöße zu beseitigen. Hinsichtlich unmittelbarer Zulieferer müssen die angemessenen Abhilfemaßnahmen in der Regel jedenfalls einen Prozess beinhalten, der dem unmittelbaren Zulieferer aufzeigt, wie er die Verstöße minimieren kann. Dies kann durch einen gemeinsamen Aktionsplan und die Umsetzung von Brancheninitiativen erreicht werden, die den Einfluss des Unternehmens auf den betreffenden Lieferanten erhöhen. Die Beendigung einer Geschäftsbeziehung ist das letzte Mittel und nur in Ausnahmefällen umzusetzen, wenn es sich um schwerwiegende Verstöße handelt und es keine anderen Maßnahmen gibt, um den Verstoß zu minimieren oder zu beenden.

Das Gesetz sieht ein verpflichtendes Beschwerdeverfahren vor, das für jedermann zugänglich sein muss. Ebenso müssen die zu Grunde liegenden Verfahrensregeln und Zugangsmöglichkeiten zum Verfahren schriftlich festgelegt und öffentlich zugänglich sein. Das Unternehmen muss den Erhalt von Hinweisen den Hinweisgebern bestätigen und den mitgeteilten Sachverhalt mit dem Hinweisgeber besprechen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es nicht verpflichtend ist, einen internen Beschwerdemechanismus einzurichten: Es ist zulässig, sich stattdessen einem externen Mechanismus anzuschließen.

Nach dem britischen Modern Slavery Act besteht keine Verpflichtung, festgestellte Risiken in einer Lieferkette zu beseitigen. Stattdessen empfiehlt der britische Leitfaden, dass Unternehmen je nach den Umständen reagieren. Dies kann die Kontaktaufnahme mit der lokalen Regierung, den Strafverfolgungsbehörden oder das Überdenken der Geschäftsbeziehungen mit den Lieferanten sein.

Anforderungen an die Berichterstattung

Das deutsche Gesetz sieht eine jährliche Berichtspflicht vor, nach der Unternehmen öffentlich und gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) über die tatsächlichen und potenziellen negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Menschenrechte und die Umwelt sowie über die Maßnahmen, die sie ergriffen haben und ergreifen werden, berichten müssen. 

Diese Berichtspflicht ist am ehesten mit der britischen Transparenzerklärung vergleichbar, wie sie in den obigen Abschnitten beschrieben wurde. Obwohl es keine Verpflichtung gibt, die negativen Auswirkungen ihrer Geschäftsaktivitäten in die Erklärung aufzunehmen, werden britische Unternehmen ermutigt, in ihren Erklärungen so offen und transparent wie möglich zu sein.

Umweltauswirkungen

Das deutsche Gesetz bezieht sich zwar auf Umweltrisikofaktoren, aber nur in einem relativ engen Rahmen. Dies hat zu einer gewissen Gegenreaktion von Umweltgruppen geführt, die monieren, dass Umweltschäden wie Klimawandel und Meeresverschmutzung durch das Gesetz nicht ausreichend abgedeckt sind. Eine wesentlich weitergehende Einbeziehung von Umweltaspekten ist jedoch auf EU-Ebene im aktuellen Entwurf der EU-Lieferkettenrichtlinie geplant.

Der britische Modern Slavery Act enthält gar keine Bezugnahmen auf Umwelt- oder Nachhaltigkeitsaspekte. Allerdings haben sowohl Großbritannien als auch Deutschland die EU-Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung übernommen, die vorschreibt, dass bestimmte große Unternehmen Informationen über ihre Umweltauswirkungen und Governance-Mechanismen veröffentlichen müssen. Darüber hinaus hat die britische Regierung einen Gesetzesvorschlag bezüglich Sorgfaltspflicht in der Lieferkette für bestimmte „Wald-Risiko“-Güter angekündigt, der über die aktuellen Vorschriften aus der EU-Verordnung 995/2010 hinausgeht und durch den große Unternehmen mit erheblichen Geldstrafen rechnen müssen, wenn sie nicht nachweisen können, dass ihre Lieferketten nicht mit illegaler Abholzung in Verbindung stehen. Zwar gibt noch viele Fragen, die dieser Gesetzesvorschlag aufwirft, dennoch zeigt er, dass die Prozesse in der Lieferkette in ganz Europa und darüber hinaus stärker auf ihre Umweltauswirkungen hin überprüft werden.

Nach dem deutschen Lieferkettengesetz kann ein Unternehmen für die Nichteinhaltung seiner Sorgfaltspflichten mit Bußgeldern von bis zu EUR 8.000.000,00 oder in bestimmten Fällen 2 % des Jahresumsatzes sanktioniert und bis zu drei Jahren Ausschluss von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden, wenn ein Bugeld ab einer bestimmte Höhe verhängt wurde. Die endgültig beschlossene Fassung des Lieferkettengesetzes schließt eine direkte zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des Gesetzes selbst zwar ausdrücklich aus, lässt jedoch die Möglichkeit offen, Schadensersatzansprüche auf der Grundlage anderer Grundlagen geltend zu machen (insbesondere Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom II)).

Im Vereinigten Königreich kann der Secretary of State, wenn ein Unternehmen keine Erklärung zu Sklaverei und Menschenhandel für das Geschäftsjahr vorlegt, über den High Court eine einstweilige Verfügung beantragen, die das Unternehmen zur Einhaltung verpflichtet. Trotz der Androhung dieser Art von Maßnahmen wird in der Realität die Nichteinhaltung der Vorschrift oder eine Erklärung, dass ein Unternehmen keine Schritte in Bezug auf die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette unternommen hat, höchstwahrscheinlich nur zu einer Rufschädigung des Unternehmens führen. Die britische Regierung hat jedoch vor kurzem ihre Absicht bekräftigt, zivilrechtliche Strafen für die Nichteinhaltung von Transparenzpflichten nach dem Modern Slavery Act einzuführen.

Fazit und Ausblick

Der Vergleich zwischen dem deutschen Lieferkettengesetz und dem britischen Modern Slavery Act 2015 zeigt deutlich, dass der Anwendungsbereich des deutschen Gesetzes in fast jeder Hinsicht breiter ist als der des britischen Gesetzes. Das bedeutet, dass Unternehmen, die die Vorgaben des Modern Slavery Acts bereits einhalten, dadurch nicht auch automatisch die Vorgaben des Lieferkettengesetzes bereits erfüllt haben. Allerdings können die Maßnahmen, die nach dem UK Act ergriffen wurden, natürlich durchaus als Grundlage für die Einhaltung in Deutschland dienen.

Derzeit laufen in zahlreichen europäischen Ländern sowie auf EU-Ebene ähnliche Gesetzgebungsverfahren. Unternehmen werden daher mit einer zunehmenden Regulierung im Bereich der Einhaltung von Menschenrechten und Umweltvorschriften in der Lieferkette konfrontiert werden und sollten daher beginnen, sich darauf vorzubereiten.

Wie können Burges Salmon und die Produktkanzlei Unternehmen unterstützen?

Wir arbeiten häufig zusammen, um unsere Mandanten mit unserer kollektiven Erfahrung bei der Umsetzung von Maßnahen betreffend die Regulierung von Sorgfaltspflicht in der Lieferkette im Vereinigten Königreich, in Deutschland und im gesamten EU-Binnenmarkt zu unterstützen. Wir beraten Mandanten zu maßgeschneiderten Compliance-Strategien und arbeiten mit anderen Experten weltweit zusammen, um eine umfassende Beratung über viele Jurisdiktionen hinweg anzubieten. Wenn Sie diese Themen weiter besprechen wollen oder Fragen dazu haben, kontaktieren Sie uns gerne.

Dieser Artikel wurde von Carly Phillips-Jones und Simon Tilling von Burges Salmon und Michael Öttinger von der Produktkanzlei verfasst. Simon Tilling erreichen Sie unter folgenden Kontaktdaten: