Dieser Beitrag möchte einen Überblick über mögliche Einsatzfelder der Blockchain-Technologie im weiten Feld des Produktrechts geben und soll als Anregung zum weiteren Diskurs verstanden werden.
Funktionsweise und Vorzüge der Blockchain im Allgemeinen
Die Blockchain verkörpert – vereinfacht gesprochen – eine Datenbank, auf der in zeitlicher Abfolge entstehende Informationen dauerhaft und fälschungssicher gespeichert werden können. Im Wesentlichen lässt sich die Blockchain als Buchführungssystem beschreiben, in dem ein „richtiger Zustand“ dokumentiert wird. Diese Datenbank beinhaltet eine stetig erweiterbare Liste von Datensätzen, sog. „Blöcke“, welche mit Hilfe kryptographischer Verfahren miteinander verkettet sind. Eine besondere Eigenart der Datenbank besteht zudem in ihrer Dezentralität, da die Informationen bei einer Vielzahl von beteiligten (anonymen) Teilnehmern gespeichert werden. Die Funktionsweise und Dezentralität gewährleisten die nachträgliche Unveränderbarkeit der Daten (mit nahezu absoluter Sicherheit). Zusätzlich lässt sich mithilfe von bestimmten technischen und organisatorischen Maßnahmen der Wahrheitsgehalt der eingefügten und gespeicherten Daten sicherstellen. Aufgrund dessen genießen auf der Blockhain hinterlegte Daten Vertrauen in die Authentizität, Richtigkeit und Integrität. Im Allgemeinen dient die Blockchain dem rechtssicheren, transparenten und vertrauensvollen Datenaustausch zwischen verschiedensten Rechtssubjekten weltweit.
Damit bietet sich die Anwendung der Blockhain insbesondere überall dort an, wo rechtliche Dokumentationspflichten bestehen oder mittels Dokumentation die Erfüllung von anderen Pflichten nachgewiesen werden können. Das Produktsicherheits- und Chemikalienrecht zeichnet sich durch solche Pflichten aus, sodass diese Rechtsbereiche für den Einsatz dieser Technologie besonders geeignet sind. Aktuell wird die Anwendung der Blockchain ebenso für das geplante Lieferkettengesetz diskutiert.
Auch die Bundesregierung hat die Vorzüge und weitläufigen Einsatzmöglichkeiten der Blockchain erkannt. So untersucht sie ausgehend von ihrer Blockchain-Strategie aus dem Jahr 2019 unter anderem die Einsatzfähigkeit und das Potenzial der Blockchain zur Transparenzsteigerung in Liefer- sowie Wertschöpfungsketten und bei der Gewährleistung der Produktsicherheit sowie des Verbraucherschutzes. Überdies soll ein Blockchain-basiertes Supply-Chain-Transparenz- und Qualitätssicherungssystem entwickelt werden, um den Prozessstatus, den Standort und den Zustand von Produkten lückenlos zu überwachen und nachzuweisen.
Einsatzfelder im Produktsicherheitsrecht aus Sicht der Wirtschaftsakteure
Die primäre Verantwortung, nur rechtkonforme und sichere Produkte in den Verkehr zu bringen, liegt bei den Wirtschaftsakteuren – namentlich bei den Herstellern, Importeuren und Händlern. Die Blockchain kann bei dieser zentralen Gesamtaufgabe in Bezug auf einzelne Rechtspflichten unter anderem bei den folgenden Bereichen unterstützen:
- Konformitätsbewertungsverfahren
- Speicherung der Dokumentation des durchgeführten Konformitätsbewertungsverfahrens
- Speicherung der technischen Unterlagen
- Speicherung der EG- bzw. EU-Konformitätserklärung
- Hinterlegung von Prüfzertifikaten
- Nachweis für das durchgeführte Konformitätsbewertungsverfahren
- Vermeidung von (undurchsichtigem) Papierwust
- effiziente Datenverwaltung und -aufbewahrung
- direkter Zugriff auf die Daten durch Marktüberwachungsbehörden
- Qualitätssicherungssysteme
- im Rahmen von Konformitätsbewertungsverfahren
- im Rahmen von GS-Prüfungen
- Dokumentation und Nachweise der Produktkonformität bei Fertigungsprozessen
- Abbildung des gesamten Produktentstehungsprozesses
- Nachmarktpflichten
- Remote-Produktbeobachtung bei smarten Produkten
- Dokumentation von Stichprobenziehungen und des Beschwerdemanagements
- Protokollierung der durchgeführten unternehmensinternen Verfahrensschritte im Zuge des Sicherheitsmonitorings
- Rückverfolgbarkeit entlang der Lieferkette
- gezielte Durchführung von Gefahrabwendungsmaßnahmen wie etwa Software-Updates bei smarten Produkten oder Rückrufe
Angesichts des Nutzens und Mehrwerts der Blockchain hat das EU Parlament eine Entschließung zur Produktsicherheit im Binnenmarkt (P9_TA(2020)0319) angenommen, die den Einsatz der Blockchain vor allem für die Rückverfolgbarkeit von Produkten und zur Steigerung der Wirksamkeit von Rückrufen künftig in Betracht zieht.
Einsatzfelder im Chemikalienrecht
Im Rahmen des Chemikalienrechts ist an eine Nutzung der Blockchain-Technologie insbesondere zur Umsetzung der Vorgaben der Verordnung (EU) 1907/2006 (REACH) zu denken. Hier könnte die Blockchain beispielsweise einen Mehrwert bei der Lieferkettenkommunikation zu besonders besorgniserregenden Stoffen (SVHCs) in Erzeugnissen und damit auch bei der Informationsbeschaffung zur Umsetzung der neuen Vorgaben zur Mitteilung von SVHC-Informationen an die ECHA (SCIP-Meldung) bieten. Das zentrale Problem in diesen Bereichen ist in aller Regel, dass die notwendigen Informationen entlang der Lieferkette entweder gar nicht zur Verfügung gestellt werden oder verloren gehen. Beiden Szenarien könnte mittels der Blockchain wirksam begegnet werden. Wenn zudem sichergestellt werden kann – insoweit wird es noch einiger technischer Entwicklungen bedürfen –, dass die sodann in der Blockchain verfügbaren Informationen zutreffend sind, würde damit eine erhebliche Erleichterung für betroffene Unternehmen einhergehen.
Einsatzfelder im produktbezogenen Umweltrecht
Ähnlich gelagerte Fälle wie im Chemikalienrecht sind selbstverständlich auch im produktbezogenen Umweltrecht denkbar. So gelten beispielsweise nach der europäischen RoHS-Richtlinie und im Batterierecht Beschränkungen für bestimmte Stoffe in Elektrogeräten und Batterien. Auch hier kommt es häufig und gerade auf Grund von fehlenden oder in der Lieferkette nicht weitergegebenen Informationen zu Verstößen mit teilweise erheblichen Folgen (z.B. Bußgelder, Notifikationsverfahren oder Rückrufe).
Darüber hinaus könnte ein verlässliches und transparentes Kommunikationstool entlang der Lieferkette auch dafür eingesetzt werden, für die Lieferkette relevante administrative Vorgänge rund um das Produkt abzubilden und weiterzugeben. Zu denken ist hier beispielsweise an die Registrierungspflichten für Hersteller nach dem ElektroG, dem BattG und dem VerpackG. Nach allen drei Rechtsakten dürfen weder Hersteller noch Vertreiber die entsprechenden Produkte in Verkehr bringen bzw. anbieten oder auf dem Markt bereitstellen, wenn der Hersteller seinen Registrierungspflichten nicht nachgekommen ist. Die Möglichkeit, die relevanten Registrierungsinformationen einem Produkt „direkt mitgeben“ zu können, beispielsweise über einen QR-Code, RFID- oder NFC-Tag, der Zugang zur produktspezifischen Blockchain bietet, könnte einen wichtigen Beitrag zur Product Compliance jedes einzelnen Akteurs in der Lieferkette leisten.
Einsatzfelder im Hinblick auf das Lieferkettengesetz
Während die Einsatzmöglichkeiten der Blockchain in den vorstehenden Bereichen klar auf der Hand liegen, wird deren Potenzial im Rahmen der unternehmensinternen Umsetzung der menschen- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette sehr stark davon abhängen, wie diese Pflichten durch betroffene Unternehmen erfüllt werden und inwieweit unmittelbare und mittelbare Zulieferer bereit sind, entsprechende Vorkehrungen im jeweils eigenen Geschäftsbetrieb zu implementieren. Während eher administrative Vorgänge, wie beispielsweise die erfolgte Zahlung eines angemessenen Lohns, in der Blockchain noch vergleichsweise einfach und nachvollziehbar abgebildet werden könnten, wäre diese beispielsweise bezüglich der Dokumentation der konkreten Arbeitsbedingungen und der Einhaltung einschlägiger Arbeitssicherheitsstandards ungleich schwerer. Selbstverständlich kann man hier zwar unter Umständen daran denken, die kompletten Arbeitsprozesse mittels Videoübertragung in der Blockchain abzubilden (wie dies beispielsweise in asiatischen Ländern im Lebensmittelbereich bereits vereinzelt der Fall ist); eine solche Lösung wäre aber mit zahlreichen weiteren komplexen Rechtsfragen verbunden. Gleiches gilt etwa hinsichtlich der Dokumentation der Umweltauswirkungen der Produktion eines Zulieferers, die zwar unter Umständen mittels Sensoren erfasst werden könnten, was aber erneut zu zahlreichen Rechtsfragen und Akzeptanzproblemen auf Seiten des Zulieferers führen könnte.
Ziel: Reduzierung von Haftungsrisiken
Hersteller, Importeure und Händler setzen sich Haftungsrisiken aus, wenn sie Produkte in den Verkehr bringen. Neben behördlichen Maßnahmen bei fehlender Produktkonformität und Produktrechtsverstößen müssen Wirtschaftsakteure im Falle eines eingetretenen Schadens auch mit Schadensersatzzahlungen und strafrechtlichen Sanktionen rechnen. Dabei können gerade auch die Mitglieder der Geschäftsleitung persönlich in das sanktionsrechtliche Visier geraten.
Die Blockchain hilft dabei, diese Haftungsrisiken zu reduzieren. Sie ermöglicht etwa einen fälschungssicheren Nachweis, dass die Rechtspflichten erfüllt und die Produkte rechtskonform hergestellt wurden. Diese Nachweisfunktion kann in etwaigen Gerichtsprozessen und Strafverfahren zum Tragen kommen. Letztlich besitzt die Blockchain das Potenzial, als Legal-Tech-Tool zu einem wichtigen Baustein in einem Product-Compliance-Managementsystem zu werden.
Fazit und Ausblick
Aktuell steht die Blockchain-Technologie noch am Anfang ihrer Entwicklung. Insgesamt birgt die rasante Entwicklung dieser Technologie unzählige neue Chancen für Wirtschaftsakteure, in komplexen Lieferketten einerseits und Blockchain-Anbieter andererseits notwendige Funktionen und Rahmenbedingungen miteinander zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen. Aus diesem Grund sollten die potenziellen Einsatzmöglichkeiten dieser Technologie nach unserem Dafürhalten zunächst wertungsneutral und ergebnisoffen zur Diskussion gestellt werden, um darauf aufbauend genauer bewerten zu können, welche Einsatzmöglichkeiten realistisch und wünschenswert sind.
Zur Vertiefung: Hillemann/Wiebe, CB 2020, 455 ff.
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