Referentenentwurf für ein Lieferkettengesetz liegt vor

Referentenentwurf des Lieferkettengesetzes liegt vor

Schon seit mehreren Jahren wird auf europäischer und nationaler Ebene über die Einführung verbindlicher Sorgfaltspflichten in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt diskutiert. Seit Kurzem liegt der heiß diskutierte Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) für ein nationales Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (Lieferkettengesetz) nun vor.

Dieser Beitrag ordnet den vorliegenden Entwurf zunächst in den Kontext der bereits bestehenden, überwiegend freiwilligen Mechanismen zum Schutz der Menschenrechte in der Lieferkette ein und gibt sodann einen ersten Überblick über die intendierten Regelungen des neuen Lieferkettengesetzes. Da das Lieferkettengesetz eines der am heftigsten umstrittenen Gesetzesprojekte der vergangenen Jahre sein dürfte, wird im Folgenden nur die Grundkonzeption des Gesetzes dargestellt; denn es ist davon auszugehen, dass der Entwurf bis zu seiner endgültigen Verabschiedung als Gesetz im Bundestag und Bundesrat noch zahlreiche (tiefgreifende) Veränderungen erfahren wird.

Kontext

Ausgangspunkt des Schutzes von Menschenrechten vor Verletzungen durch Wirtschaftsunternehmen in globalen Lieferketten sind die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2011. Darin wird einerseits eine Verantwortung der Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte und andererseits eine staatliche Schutzpflicht festgelegt. Teil der staatlichen Schutzpflicht ist hierbei die Pflicht zur Einführung von Abhilfemechanismen bei eingetretenen Verstößen, die es betroffenen Personen ermöglichen, eingetretene Verletzungen geltend zu machen.

Diese internationalen Vorgaben wurden in Deutschland im Jahr 2016 mit dem Nationalen Aktionsplan- Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) der Bundesregierung umgesetzt. Allerdings kam bei Evaluierungen der Umsetzung des NAP in den Jahren 2019 und 2020 zum Vorschein, dass nur knapp 20 % der betroffenen Unternehmen den Vorgaben des NAP in ausreichendem Maße nachkommen. Daher sah sich die Bundesregierung zu einer gesetzlichen Implementierung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette veranlasst.

Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Um das Ziel der Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage im unternehmerischen Kontextzu erreichen, sieht der Entwurf des Lieferkettengesetzes folgende Grundstrukturen in Anlehnung andie Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen vor:

  • Vom Lieferkettengesetz sollen nach aktuellem Stand nur Unternehmen mit über 1.000 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern betroffen sein, wovon es in Deutschland aktuell 2.891 gibt. Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern sollen die Vorgaben bereits zum 01.01.2023 einhalten müssen. Unternehmen ab 1.000 Arbeitnehmern erst ein Jahr später zum 01.01.2024. Alle Unternehmen unterhalb dieser Schwelle sind umgekehrt vom Lieferkettengesetz grundsätzlich nicht direkt betroffen, wobei darauf zu achten ist, dass § 1 Abs. 3 des Entwurfs die Addition der Arbeitnehmerzahlen in verbundenen Unternehmen im Sinne von § 15 AktG vorschreibt, solange zumindest die Konzernmutter in Deutschland ansässig ist.
  • Die geschützten Rechtspositionen werden über Verweise in verschiedene internationale Regelwerke definiert und umfassen dabei beispielsweise Positionen wie Leben, Gesundheit, gerechte Arbeitsbedingungen, Kinderschutz, Verbot der Sklaverei und Vereinigungsfreiheit. Im Hinblick auf den Schutz der Umwelt sind lediglich die Vorgaben des Minamata-Übereinkommens zu Quecksilber und die Vorgaben des Stockholmer-Übereinkommens zu persistenten organischen Schadstoffen im Entwurf genannt. Zu beachten ist dabei ergänzend, dass die umweltrechtlichen Pflichten nicht als solche relevant werden, sondern stets nur als Teil des Schutzes von Leben, Gesundheit und gerechten Arbeitsbedingungen.
  • Auf Grund der umfassenden Lieferkettendefinition von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Lieferung eines Produkts an den Endkunden ist grundsätzlich eine umfassende Sorgfaltspflicht geboten. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die Sorgfaltspflichten nicht nur im Hinblick auf grundsätzlich als prekär angesehene Länder zu erfüllen sind, sondern globale Geltung haben und damit beispielsweise auch Menschenrechtsverletzungen innerhalb Deutschlands vom Anwendungsbereich der Norm erfasst sind. Allerdings besteht nach dem Entwurf hierbei ein abgestuftes Pflichtenregime je nachdem, wo eine Menschenrechtsverletzung eintritt – im eigenen Geschäftsbetrieb, bei unmittelbaren Zulieferern (=solchen Zulieferern, die Vertragspartner sind und für die Herstellung des Produkts oder die Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind) oder bei mittelbaren Zulieferern.
  • Hinsichtlich der konkreten Sorgfaltspflichten soll das Gesetz nach der Entwurfsbegründung „eine Bemühenspflicht, aber weder eine Erfolgspflicht noch eine Garantiehaftung“ begründen.
    • In einem ersten Schritt haben die betroffenen Unternehmen ein angemessenes Risikomanagement einzuführen und umzusetzen, welches dazu führen soll, dass Risiken erkannt werden, deren Realisierung vorgebeugt wird und dennoch eingetretene Verletzungen beendet und deren Folgen minimiert werden. Hierfür ist im Unternehmen zudem eine zuständige Person zu bestimmen, und der Geschäftsleitung ist mindestens einmal jährlich Bericht zu erstatten. Als Teil der Risikoprävention hat jedes betroffene Unternehmen eine Grundsatzerklärung zu Menschenrechten mit bestimmten Pflichtinhalten zu verabschieden, wenn eine solche nicht bereits besteht. Zudem sind Präventionsmaßnahmen im Unternehmen und gegenüber Zulieferern, zu denen Vertragsbeziehungen bestehen, zu verankern. Dies umfasst beispielsweise Schulungen, Anpassungen der Beschaffungsstrategien und risikobasierte Kontrollmaßnahmen.
    • Eingetretene Menschenrechtsverletzungen müssen im eigenen Betrieb durch Abhilfemaßnahmen beendet werden. Im Bereich der unmittelbaren Zulieferer muss das betroffene Unternehmen wiederum mit dem betroffenen Zulieferer ein Konzept zur Minimierung und Vermeidung der Verletzungen erstellen und umsetzen, wobei die Geschäftsbeziehungen zu dem Zulieferer nur als letztes Mittel (temporär) abgebrochen werden müssen. Das Gesetz verfolgt insoweit den Grundsatz „Befähigung statt Rückzug“.
    • Weiterhin muss jedes vom Lieferkettengesetz betroffene Unternehmen ein wirksames und zugängliches Beschwerdeverfahren einrichten. Personen, die von Menschenrechtsverletzungen in der jeweiligen Lieferkette betroffen sind, sollen sich darüber an das Unternehmen wenden können. Hierbei soll jedoch ausdrücklich die Möglichkeit der Beteiligung an einem externen Beschwerdeverfahren bestehen, sodass nicht jedes Unternehmen selbst ent-sprechende Beschwerdestellen einrichten muss.
    • Schließlich sollen bestimmte Dokumentations-, Berichts- und Veröffentlichungspflichten eingeführt werden.
  • Zwar bestand schon immer ein direktes Klagerecht von durch Menschenrechtsverletzungen betroffenen Personen vor deutschen Gerichten. Betroffene konnten dieses aber auf Grund der Lebensumstände in ihren Heimatländern oft nicht (wirksam) ausüben. Nach dem Entwurf ist nun vorgesehen, dass Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zur Prozessführung in dieser Hinsicht ermächtigt werden können, was die Rechtsdurchsetzung unter Umständen erleichtern kann.
  • Zuständig für den Vollzug und die Kontrolle der Einhaltung des Lieferkettengesetzes soll in Deutschland das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sein, welches nach dem Entwurf dazu verpflichtet wird, „Informationen, Hilfestellungen und Empfehlungen zur Einhaltung dieses Gesetzes“ zu veröffentlichen. Weil insbesondere diese Pflicht bereits vor dem 01.01.2023 bestehen soll, ist davon auszugehen, dass bis zum Geltungsbeginn der Sorgfaltspflichten entsprechende Auslegungs- und Anwendungshilfen vorliegen.
  • Bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz sollen zum einen Zwangsgelder und zum anderen Bußgelder möglich sein. Die Bußgelder sollen dabei als Prozentsatz bezugnehmend auf den Gesamtumsatz des verstoßenden Unternehmens festgelegt werden.
  • Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen das Lieferkettengesetz unter Umständen zu einem Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge für einen bestimmten Zeitraum führen können.

Fazit

Zwar wird mit dem Lieferkettengesetz keine Pflicht deutscher Unternehmen eingeführt werden, globale Menschenrechtsverletzungen aktiv zu unterbinden oder Lieferbeziehungen mit Zulieferern abzubrechen. Die Pflicht zum kontinuierlichen Menschenrechts-Monitoring in der eigenen Lieferkette wird aber durchaus erheblichen Aufwand mit sich bringen. Aktuell ist es noch zu früh, um final absehen zu können, welche Pflichten im Detail auf die Unternehmen zukommen, da im nun anzustoßenden Gesetzgebungsverfahren noch mit hitzigen Debatten und weiterhin aktiver Beteiligung der Wirtschaft zu rechnen ist.

Die aktive Verfolgung des Gesetzgebungsverfahrens und die Einbringung von Stellungnahmen (ggf. auch über Verbände) ist zum jetzigen Zeitpunkt das Gebot der Stunde. Die Initialisierung etwaiger Implementierungsmaßnahmen im Unternehmen, die Anpassung oder Neufassung vertraglicher Vereinbarungen mit Zulieferern wären aktuell hingegen sicherlich noch verfrüht, da das Gesetz noch nicht final beschlossen ist und Änderungen am Entwurf im Gesetzgebungsverfahren durchaus zu erwarten sind. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass die EU parallel zum nationalen Gesetzgebungsverfahren ebenfalls aktiv an verbindlichen Vorgaben zu Menschenrechten und umweltrechtlichen Standards in der Lieferkette arbeitet, sodass sich hieraus durchaus relevante Überschneidungen für die Umsetzung im Unternehmen ergeben können. Nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens sollte genügend Zeit bleiben, die notwenigen Maßnahmen besonnen vorzubereiten, zu implementieren und mit den Zulieferern abzustimmen. Wir werden den Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens genau verfolgen und nach dessen Abschluss einen weiteren Blog-Beitrag mit den konkreten Pflichten und Handlungsempfehlungen bereitstellen.

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